Einfach nur irre!
Der Versuch einer Beschreibung, wie sich ein Motorradfahrer fühlt, wenn er in seinem Element ist: Hirn im höchsten Gang, überaus konzentriert, aber in einer anderen Welt; hormonell überfeuert und über-adrenalinisiert; Gashand extrem auf Speed. Fast wahnsinnig also.
Wer so etwas noch nicht erlebt hat, wird es wohl kaum nachvollziehen können: Es gibt diesen irren Beschleunigungsrausch, den man zum Beispiel schon in der Zufahrtskurve auf eine Autobahn spürt; schon hier wird in Schräglage so am Kabel gezogen, dass du die Maschine gerade noch so unter deiner Gewalt hast. Nach einem kurzen Blick nach links erkennst du, dass die Bahn frei ist, und dann wird der Hahn gnadenlos aufgezogen, bis der Drehzahlmesser in den roten Bereich gerät! Dann: schalten, schalten und spüren, wie dich die schiere Gewalt der kleinen Rakete vom Lenker nach Hinten wegreißen will, aber du hängst dran wie festgeklebt und schaltest noch mal hoch, wieder den Gashahn bis zum Anschlag aufgezogen...
Nach nur wenigen Sekunden sollte dir bewusst werden, dass du schon bei 180 angelangt bist, obwohl nur 130 erlaubt sind... Und dieses Bewusstsein lässt sich nach einem solchen Schub, der einem das pure Glück durch die Adern rauschen lässt, nur schwer wieder kontrollieren! Die Endorphine spielen einfach verrückt... Aber Abbremsen auf die erlaubte Höchstgeschwindigkeit ist Pflicht. Mist.
Gleiches gilt für die Jagd im Gebirge oder in bergigen Gegenden des heimatlichen Umlandes, mit möglichst vielen Kurven:
Dieses irre Beschleunigungsgefühl gilt hier aber nur sehr kurze Zeit, es wird immer wieder brachial unterbrochen wegen heftigem Zugriff der Bremsfinger: Kurve naht!
Schon vor dem Ausgang der Kurve wird wieder hochgepuscht; und das alles wiederholt sich also so oft wie nur möglich.
Dazu kommt aber noch der Rausch der Schräglage in den Kurven, die so optimal genommen werden müssen, dass die Ausfahrt der Kurve mit bestmöglichem Schwung und Schub in die Strecke dahinter führt; bis wieder mit heftigem Druck auf den Bremshebel das Tempo so dosiert werden muss, dass du erstens schadlos die nächste Kurve überstehst, zweitens aber nicht zu viel abbremst, damit du die Schräglage bis auf die letzte Rille auskosten kannst, um danach wieder den Gashahn aufzudrehen...
Dies alles kostet eine Menge physischer Kraft, mehr noch aber benötigen solche "Irrfahrten" ein ungeheures Maß an Konzentration: Dein Hirn ist zwar auf einer bestimmten Ebene ausgeschaltet, weil diese irrationale Raserei sämtliche Glückshormone und auch einen erklecklichen Schub an Adrenalin freisetzt, wahrscheinlich besser und effektiver als jeder Drogenrausch. Andererseits sollte dein Hirn aber auch in einer kleine Ecke noch so intakt sein, dass es dich davor warnt, nicht völlig diesem Wahn zu verfallen!
Mein kleines, aufmerksames Eck im Hirnchen hat immer in meinem Motorradfahrerleben rechtzeitig genug erkannt, wann die Grenze erreicht war: Funktioniert das perfekte Zusammenspiel zwischen Geist, Körper und Maschine nur eine Hundertstelsekunde nicht mehr, dann sollte dieses Hirneckchen sofort ein rotes Warndreieck einblenden und dich aus deinem Wahn zurückführen ins echte Leben: sanft, aber eindringlich und möglichst sofort! Sonst bist du tot, oder schlimmer noch, fürchterlich behindert...
Aber das Motorradfahren ist natürlich auch ohne solche Hirnaushänger immer ein Risiko:
Dummerweise wirst du von einem unachtsamen Autofahrer mitten in der Stadt erwischt, oder du rutschtst auf einem Kuhfladen im nächsten Dorf aus, oder oder...
Ich selbst musste viermal in meinem Motorradfahrerleben unfreiwillig absteigen (die vielen kleinen Ausrutscher mit den kleinen Maschinchen (Roller, Mokick) aus meiner Jugend nicht mitgerechnet!):
Zweimal nur heftige Schrammen und Blutergüsse; einmal ein aufgeplatzter Finger; einmal ein zertrümmertes Sprunggelenk. All das mit meinem ersten Motorrad, einer 250er Suzuki, im noch naiven Moppedfahreralter von 20 bis 24 Jahren.
Ende des Ausflugs in die Seele eines Motorradfahrers!