Lago Maggiore - Eine Tour mit Motorrädern vom 2. Juni bis 6. Juni 1995


Zwei Motorräder (Yamaha XS 900 und Kawasaki Z 650), zwei Fahrer (Diddi und Hufi), eine Sozia (Iris).

Die Hinfahrt machte ich allerdings alleine! Diddi und Iris kamen einen Tag später an.

Im Gegensatz zur letztjährigen Tourbeschreibung an den Lago Maggiore hatte ich hier wieder meine alte Gewohnheit des Tagebuchschreibens praktiziert, weshalb diese Tour wesentlich umfangreicher ausgefallen ist: erstens einen Tag länger als letztes Jahr, und zweitens länger, was die Beschreibung betrifft! Ich hoffe, das stört euch nicht...

Abfahrt aus Ludwigshafen am Rhein (dieses Jahr ohne Sozia): 2. Juni 1995, 6 Uhr 20
Ankunft in Luino am Lago Maggiore: am selben Tag, 18 Uhr 20
Gefahrene Kilometer bis zum Ziel: 594 in zwölf Stunden
Gefahrene Strecke: Ludwigshafen - Landau - Karlsruhe - Baden-Baden - Offenbach - Freiburg - und so fort, wie ihr gleich lesen könnt...

Freitag, 2. Juni

In Karlsruhe bekam ich echten Stress: Staus ohne Ende, mehr als Schritttempo war weit über eine Stunde lang nicht drin!
Das kostet Kraft in der Kupplungshand, im Nervenkostüm und im Motor, der ständig wegen Überhitzung ausging...
Mir selbst passierte das auch; deswegen musste ich immer wieder eine Abhitzungspause einlegen und der Maschine und mir kleine Ruhepausen gönnen. Ich nutzte sie jeweils für ein Hanuta, eine Zigarette danach, und vielen Schlucken Wasser; mein Mopped war jedesmal selig dabei, wie das Knacken und Knistern des abkühlenden Motors bewies.
Erster Tankstopp dann in Baden-Baden: 8,9 Liter für 13,80 DM = umgerechnet rund 77 Eurocent pro Liter... Das waren noch Zeiten!
Nächster Stopp in Rheinfelden, noch auf der deutschen Seite, um etwa 11 Uhr: Proviant für mich gekauft und Moppedle vollgetankt: hier schon 79 Eurocent (umgerechnet)!
Ich hatte echt die Nase voll, weil ich so viel Zeit wegen der Bummelei liegen lassen musste; fast fünf doofe und überaus langweilige Stunden hatte ich bis an die Grenze gebraucht! Und vor mir liegt noch die gesamte Schweiz und ein Stück Italia...
Auf der Schweizer Seite von Rheinfelden wurde ich genötigt, mir eine Vignette an die Vorderradgabel kleben zu lassen: verschandelte mein schönes Mopped und kostete dazu noch 50 DMäuse (= 25 Euronen); nur so bekam ich freie Fahrt durch die  in jeder Beziehung neutrale und  kleine Schweiz!
Über die Autostrada düste ich über Aarburg am Sempacher See und am Vierwaldstädter See vorbei: eine traumhafte Gegend! Dabei fiel mir ein: noch kein Tropfen Regen bisher! Bin ich tatsächlich im richtigen Film?
Irgendwann lief ich auf einer Bundesstraße, die ich jetzt gewählt hatte, auf zwei Moppedfahrer aus HX auf; wir gondelten und düsten in höchst erfreulicher Moppedfahrermanier zusammen durch die Gegend: abwechselnd die Führung übernehmen, dann wieder entspannt an der hinteren Front die Aussicht genießen; so was macht ungeheuren Spaß! Und natürlich die oberste Motorradfahrerregel beachten: Beim Überholen von PKWs des Führenden anschließend die nachfolgenden Moppeds durch geschicktes Taktieren vor dem überholten Auto den anderen die Möglichkeit geben, ebenfalls an diesem Hindernis vorbeizukommen; somit wird wunderbar eingefädelt und möglicherweise sogar der letzte der Kolonnenfahrer plötzlich zum Führer - DAS ist blindes Verstehen einer Fahrergruppe, selbst wenn man sich gar nicht kennt! Einfach nur herrlich, diese verständnisvolle Gemeinschaft unter fremden Helmen...
An der Gotthardt-Raststelle bin ich als derzeit Führender eingebogen, und die zwei tollen Fahrtkameraden hinterher.
Welch eine Freude, als wir unsere Helme abzogen und uns gegenseitig für diese tolle, viele viele Kilometer lange, gemeinsame Strecke beglückwünschten! Und die Überraschung schlechthin war, dass die beiden ein Paar waren; die noch recht junge Frau schmiegte sich in voller Freude über die Fahrt an ihren Partner! 
Fast noch ergreifender war das Lob, das ich von den beiden erntete: 'Ein wunderschönes Moped hast du! Und die gemeinsame Tour war einfach nur saaagenhaft gut...'
Jetzt kam die Frage auf: durch den Tunnel oder rüber über den Gotthardt?
Hier der entscheidende Blick: 


Diese Aussicht auf ein unbekanntes Gebirge, in Schnee gehüllt, reizte natürlich meine abenteuerliche Seele: Ich musste drüber!
Die beiden wollten nach Korsika, meiner Trauminsel! So konnte ich ihnen noch einige Tipps geben, da ich ja erst vor drei Jahren dort war. Dann verabschiedeten wir uns mit den herzlichsten Wünschen.

Zwar war das Wetter recht trübe, aber die Straßen waren trocken, und es fuhr sich recht angenehmen zwischen den bis zu drei Meter hohen Schneewänden! Richtig Gas geben traute ich mich aber nicht: Die alte Dame schlingerte bei den leichtesten Bodenwellen, ja sogar dann, wenn ich nur mal auf den Mittelstreifen geriet! Zuvor lag sie doch wie ein Brett; irgendwas stimmte da nicht... Echtes Kurvenräubern war deshalb kaum drin. Zudem war die Straße eh nicht in bestem Zustand, jedenfalls auf dem Weg nach oben: ständig Ampeln an Baustellen, wo die Straße repariert wurde; und wo sie nicht gerade ausgebessert wurde, hatte sie es dringend nötig!
Oben: traumhaft! Erst als ich vor dem Gotthard-Schild in 2091 m Höhe eine Pause mache und den Helm abnehme, merke ich, wie eisig der leichte Wind ist: in meiner tollen Ausrüstung hatte ich das während der Fahrt kein bischen gemerkt!
Das Foto von mir hat der Fahrer einer Goldwing gemacht, der mit seiner Frau aus der anderen Richtung kam: 
Die Straße sei dort gut, lobte er, und ich warnte ihn vor dem Gegenteil in seiner geplanten Richtung...

     


 
Es war so gegen 14 Uhr 30, als ich mich wieder auf den Weg machte; der Goldwingfahrer hatte recht: die Straße abwärts war der echte Hammer! Diesen ließ ich auch ab und zu fallen, meine Gashand konnte ich bei diesen Kurven einfach nicht unter Kontrolle bringen... Obwohl die Maschine wackelte wie eine alte Goldwing!
Wing? Schwinge? Das könnte eine Eingebung gewesen sein!
Etwas später, weiter unten in nicht mehr so kalten Gefilden, überprüfte ich diese Eingebung: Und in der Tat ließ sich die sehr große Mutter der Schwingenachse mit meinem Bordwerkzeug ein erkleckliches Stückchen anziehen! Danach hatte ich wieder mein Kurvenräuberbrett unter dem Hintern: Juchuuu!!!

Dann stand ich wieder vor einer Entscheidung: zurück auf die Autostrada? Krämpfe in der Gashand riskieren, weil sie immer die gleiche Stellung halten muss? Erschlaffung des Kupplungsarmes, weil die Hand nix zu tun hat? Ermüdung der Sinne? Nein!
Auf der grandiosen Straße zu dem italienischen Bellinzona, die neben und unter und manchmal über der Höhe der Autobahn verlief, konnte ich mich wieder so richtig austoben; für Kurven jeglicher Art hatte ich ja schon immer ein Faible...
Und dabei auch noch, oft jauchzend, die herrliche Landschaft genießen: Sonne und kein Regen! Unfassbar. Nur für Fotos war einfach keine Zeit.
Aber es fiel mir mal wieder auf, welch gute Wahl ich bei meiner Ausrüstung getroffen hatte: Die umgerechnet rund 700 Euro für die Klamotten waren keine Verschwendung! (1.400 DM sind wahrlich kein Pappenstiel gewesen, fast die Hälfte des Kaufpreises fürs Mopped).  Ich war in verschiedenen Klimazonen unterwegs, und nie hatte ich gefroren oder geschwitzt; nur jetzt, in der hübsch warmen Gegend, zog ich das Vlies-Innenfutter der Jacke aus; drunter trug ich nur ein T-Shirt!
Die Straße entfernte sich bald von der Autobahn und wurde zahmer, und ich merkte, dass ich in Italien war:  Die Ortschaften und Häuser und Menschen auf den Straßen hatten sich verändert; ebenfalls der Fahrstil der Autofahrer, die ja bekanntlich keinen Respekt kennen! Einen davon bekam ich vor mein Mopped: Ein mittelgroßer Baustellen-LKW raste mit 100 km/h durch die Gegend, egal, ob Dorf oder Landstraße... Kilometerweit versuchte ich, an dem Kerl vorbei zu kommen, aber der machte sich einen Spaß daraus, weil er mich längst im Rückspiegel entdeckt hatte!
Die Straße war zu eng und zu kurvig; außerdem herrschte meist Überholverbot. Das wäre mir aber egal gewesen, denn schließlich war ich hier in Italia! Verbots- und Gebotsschilder sind hier rausgeschmissene Lire.
Bei einem vergeblichen Überholversuch lacht er mich doch glatt im Rückspiegel aus! Und biegt dann ab zu einer Baustelle... Saftsack.
Klar hätte ich eine Pause einlegen und ihn düsen lassen können! Aber schließlich haben Mopped und ich einen gewissen Ehrgeiz ...

Die Strecke nach Luino hatte ich gut gefunden und machte etwa 30 km vor dem Ziel noch eine Pause. Alles kam mir entfernt bekannt vor, außer der Sicht auf den entfernten Lago Maggiore; das lag wohl daran, dass im letzten Jahr diese Gegend von Regen und Kälte und einer gewissen Düsternis beherrscht wurde.
Ich checkte in dem ältlichen kleinen Hotel aus Sandstein um etwa 18 Uhr 30 ein und erhielt ein Zimmerchen genau über dem letztjährigen. Der grauhaarige Hotelbesitzer persönlich begrüßte mich und erinnerte sich sogar noch an mein Motorrad, und auch daran, dass wir letztes Jahr doch zwei Fahrer mit zwei Mädels waren! 
Das wiederum erinnerte mich daran, die telefonische Reservierung eines Doppelzimmers durch Dietmar bestätigen zu lassen: Es hieß, dass diese Reservierung heute morgen um 7 Uhr storniert wurde! Collasso! Schock! Was war passiert?
Verzweifelt versuchte ich, Diddi oder Iris zu erreichen: vergeblich! Und warum vergeblich?
Weil ich wieder einmal nicht bedacht hatte, dass man bei Anrufen aus dem Ausland die 0 bei der Ortskennzahl weglassen muss. Darauf musste mich aber erst der Rezeptionist stoßen, nachdem er meine Verzweiflung bemerkte und nachfragte, was denn los sei...
Gar nicht so einfach, 'telefonieren, nach Hause'!
Etwa einer Stunde nach den ersten Versuchen erreichte ich Dietmar, und er erklärt mir, dass das alles Käse ist und ich bitte ein Zimmer reservieren soll! Na also...
Jetzt konnte ich zufrieden meinen Geburtstag feiern!
Recht kaputt und mit schmerzendem Genick, aber dennoch äußerst zufrieden, notierte ich mir den Tag auf hoteleigenem Briefpapier und genoss dabei ein kleines Menü, das ich mir aufs Zimmer hochnahm. Begonnen hatte der Tag wie immer mit Aufstehen, was ja unvermeidlich ist; aber 5 Uhr ist schon eine etwas unheilige Zeit, wenn man Urlaub hat! Und jetzt, beim Schreiben der Tageserlebnisse, war es schon echt spät: Die Abendsonne schien wärmend in mein Zimmer, und ich musste dabei Aufnahmen machen.

Wie man unschwer an den Uhrzeiten erkennen kann, war meine Nacht nicht gerade erholsam: Viel zu erschöpft war ich und dazu viel zu aufgewühlt... Kein guter Mix, noch dazu mit den Schmerzen im Genick.

Samstag, 3. Juni

Die Lage von Luino: nach Norden und Süden gesehen; auf Postkarten natürlich.

    

Um kurz vor acht Uhr hab ich mich endlich aus dem Bett gequält und versuchte, mit einer langen Dusche und einem ebensolangen Frühstück an der Hotelbar wieder ein Stück Leben in Körper und Geist zu bringen; erstaunlicherweise hatte dies gut geklappt!
Vor dem Hotelchen, als ich  gegen 11 Uhr einen kleinen Ausflug mit dem Mopped unternehmen wollte, erlebte ich eine Überraschung: Eine Menge Menschen, und auch eine Menge Absperrungen an den Straßen rund um mein Quartier: ich konnte einfach nicht rausfahren!
Eine Nachfrage bei der Rezeption ergab eine weitere Überraschung: Heute und morgen wird hier der "Giro d'Italia" mit der letzten Etappe durchrasen! Radlerfans also an allen Ecken und Enden...
Und ich Moppedfan fühlte mich in die Ecke gedrängt. Aber ich will hier raus!
Ich erklärte einem Wächter, dass ich hier gerne mit dem Mopped weg und später wiederkommen wollte, also winkte er mich gönnerhaft hinaus, wo ich dann meine kleine Tour beginnen konnte.
Auf meiner Karte hatte ich eine interessante Route entdeckt, der ich folgen wollte; sie führte zuerst nach Dumenza und dann weiter nach Agra. Die verwinkelten Strecken auf der Karte hatten mich gelockt, und ich wurde nicht enttäuscht: Herrliche Landschaft umschloss diese recht kleinen, kurvenreichen Straßen, die immer weiter nach oben führten in die bergige Landschaft!



Das Wetter war zwar nicht unbedingt der Brüller: eher wolkig bis duster, aber immer noch hatte mich kein einziger Regentropfen gefunden! Sehr seltsam... Sollte ich mir etwa Sorgen machen, dass bei dieser Urlaubstour etwas nicht stimmen könnte?
Überall auf dieser Strecke begegnete mir wieder dieses südländische Flair, obwohl ich gar nicht im Süden war. Aber Italien beginnt wohl schon hinter seiner Grenze zum Ausland, und das Land grenzt sich ab durch die Eigenarten der Häuser, Dörfer und ländlichen Gegenden.
Aber dies ist eigentlich nicht erstaunlich; wenn man nur an Deutschland denkt, dann beginnen ja hinter den Bundesländergrenzen schon andere ethnische Kulturen und oft seltsame Sprachen, wie pfälzisch oder bayrisch...
Es war einfach faszinierend, durch diese Idyllen zu gondeln; echt: ich raste nicht, sondern bummelte! Ganz entspannt.
Ich folgte einem winzigen, verwinkelten Weg nach oben, immer meiner entdeckerdurstigen Nase nach: Dort oben sollte ein grandioser Aussichtspunkt sein, so hatte ich das im Gedächtnis; also folgte das Mopped meiner Gedächtnisgashand, die derzeit keine Mucken machte, sondern recht gemütlich das Mopped und mich in die Höhe schaukelte, jedenfalls zu Beginn; später sollte es weniger gemütglich zugehen: mehr als gemächlich sogar... 
Recht weit oben gab es tatsächlich eine kleine Kneipe, aber ansonsten war von diesem Aussichtspunkt aus fast nichts zu sehen als Nebel, der rund 300 Meter vor meiner Nase begann: nix Lago, nix Berge; nur eine Menge Bäume, die sich bald im Grau verloren...
Trotzdem hatte sich der Weg gelohnt, auch wenn er äußerst anstrengend war; er erinnerte mich an einen Weg auf Korsika: steil und manchmal so hauteng, dass ich die Spitzkehren kaum schaffte! Selten konnte ich in den zweiten Gang schalten, oft stand ich auf den Fußrasten,  weil ich das Mopped im Sitzen nicht um die Ecken und über Hürden gebracht hätte! Hier machte sich wieder das enorme Gewicht des Motorrads bemerkbar, - immerhin fast fünf Zentner ohne mich -, aber auch die erstaunliche Wendigkeit aufgrund des kurzen Radstandes.
Zum Glück hatte ich nicht gewusst, dass dies eigentlich ein Wanderweg war, sonst hätte ich diese Route nie gewählt und wäre nicht in den sinnlichen Genuss dieser traumhaften, meist waldigen Landschaft gekommen, die alle 40 Höhenmeter ihr Aussehen leicht veränderte. Auch die Gerüche, die ich durch das offene Visier gierig in mich hinein sog, änderten sich mit jeder Veränderung der Umgebung; nur eines blieb gleich: die unwahrscheinliche Intensität dieser Düfte, die durch die leichte Feuchtigkeit enorm verstärkt wurden.
Ab diesem Aussichtspunkt ging es nicht weiter und ich fragte mich, wie die wohl ihren Proviant für die kleine Gaststätte hier herauf schafften? Jemand anderen konnte ich nicht fragen, denn die Hütte war geschlossen.
Der Weg zurück bergab war nicht mehr ganz so schwierig, irgendwie hatte ich mich wohl eingependelt. Wieder unten entschloss ich mich, statt nach Curiglia weiter zu fahren, wieder in Richtung Hotel zu gondeln. Gründe hierfür waren der einsetzende leichte Regen, dem meine leichte Jacke und die Jeans nichts entgegen zu setzen hatten, und auch unser beider Hunger: mein Magen knurrte, und wenn ich genau hinhörte, der Tank des Moppeds ebenfalls...

Regen! Zwar nur wenig, aber immerhin: Jetzt konnte ich glauben, dass ich leibhaftig auf Motorradreise war und nicht träumte. 



In einem Örtchen machte ich noch eine kurze Pause, weil der Regen wieder aufgehört hatte, und ich auch noch fast eineinhalb Stunden Zeit hatte, um ab 16 Uhr auf Dietmar und Iris im Hotel zu warten; siehe Turmuhr.
In Luino hatte ich dann enorme Schwieigkeiten, bis zum Hotel zu fahren; die Politessen verweigerten mir die Weiterfahrt: ich sollte mein Mopped hier abstellen!
'Denkste!', dachte ich und tat so, als ob.
Sie schauten kurz weg, und schon war ich weg! Hihi...
Am Hotel war die Überraschung groß: Eine 900er Yamaha aus MA stand dort, und Dietmar und Iris saßen vor dem Hotel bei einem Capuccino! Für jeden einen, natürlich. Nach einer herzlichen Begrüßung bekam ich auch einen spendiert, und wir erzählten dabei von unseren bisherigen Erlebnissen. Auch versuchten wir, den restlichen Tag zu planen, überließen es aber dann dem Zufall, was sich so ergeben würde; falls wir uns entschließen würden, uns zu erheben.


   Ähnliches Bild, fast exakt an der gleichen Stelle, wie im letzten Jahr.

Wir entschieden uns für ein Bad in der Menge und verfolgten den Zieleinlauf der Radfahrer auf einer riesigen Videoleinwand auf dem Marktplatz von Luino. Der Menge der Zuschauer nach schienen alle aus dem Häuschen zu sein, und ihrer Aufregung nach ebenfalls!
Wir sind ja keine Fans vom Radsport, aber live bei einer Etappen-Zieleinfahrt des 'Giro' dabei zu sein, ist doch schon was Besonderes. Ab und zu, auf dem Weg zum Marktplatz, sahen wir sogar einige Fahrer in Echt vorbeiflitzen...
Nach einem Spaziergang durchs vollgefüllte Luino wollten wir unbedingt auch unsere Bäuche füllen: Gegen 19 Uhr gab es zwei Pizzas für die beiden, und ich genoss Gnocchi mit Gorgonzola und einer Petersiliensoße; ein Gedicht!
Damit sich das Essen besser setzt, haben wir danach auf einer Piazza beim Bahnhof herumgestanden: offenbar sollte dort etwas stattfinden, aber wir wussten nicht was! Und bis zu unserem Abgang nach einer halben Stunden hatten wir es immer noch nicht erfahren, denn das, was stattfinden sollte, hatte immer noch nicht begonnen... Gegen den Strom der Leute, die es zu der Piazza zog, kämpften wir uns zurück in das alte Jugendstil-Hotelchen. 
Um 22 Uhr wurde ich per Telefon(!) in das Zimmer von Iris und Diddi gebeten, wo ich eine Überraschung erlebte: Sie intonierten ein nachträgliches Geburtstagständchen, überreichten mir kleine Geschenke und einen Abendsnack der Sonderklasse aus dem Hotel-Buffet... Donnerwetter, war ich gerührt! Die beiden Schelme hatten es sich die ganze Zeit verkniffen und so getan, als hätten sie meinen Geburtstag glatt vergessen... Und darüber freuten sich jetzt die beiden Schlitzohren diebisch!
Liebe Freunde halt...
Wir sinnierten, dass es morgen wohl schwierig werden wird, hier herauszukommen; nicht aus dem Hotel, aber aus dem Ort, zusammen mit den Moppeds: Der Start des 'Giro' nach Mailand wird ausgerechnet vor unserer Haustür erfolgen! Zwar erst um 13 Uhr 30, aber es war ja schon schwieig genug, heute hier zum Hotel zu gelangen, obwohl die eigentliche Rennstrecke ziemlich entfernt vom Hotel lag. Wir wollten aber versuchen, spätestens um 10 Uhr abzuhauen und den Lago zu umrunden.

Sonntag, 4. Juni

Wahrscheinlich wären wir nach dem Frühstück um 8 Uhr noch gerade so heraus gekommen, aber das Wetter machte uns einen Strich durch die Rechnung: Es war recht kühl, und es nieselte!
Iris konnte sich eine Bemerkung nicht verkeifen: "Na klar, unser Hufi ist ja dabei..."
In das Gelächter konnte ich nicht so recht mit einfallen; aber die Situation schob meine Befürchtung von gestern beiseite, dass ich im falschen Film sein könnte! In mir keimte die Absicht, meinen Spitznamen zu ändern: von Donnerhuf zu Reise-Regenhuf...
Hier einige Bilder vom Giro d'Italia, startend vor unserem kleinen Hotelchen, mit dem Endziel Milano; lasche 148 Kilometer entfernt... Ha! Das hätte ich mit meiner Kawa locker in drei Stunden geschafft! Vielleicht auch in zwei Stunden, wenn ich einen Streckenplan gehabt hätte.
Diese Jungs hatten zwar eine abgesteckte Stecke, aber keinen Vierzylindermotor unter den Hintern...Respekt also!

Aufgrund dieser beiden lästigen Situationen, (Radlermanie und übles Wetter),  entschlossen wir uns also zu der Alternative, mal wieder per Tragflügelboot einen Ausflug nach Locarno zu machen. Letztes Jahr taten wir das ja auch, im kühlen Nieselregen... Warum wir allerdings nicht ans andere Ende des Sees fuhren, das wir noch nicht kannten, bleibt ein Rätsel. Um 10 Uhr 14 düsten wir ab.

In Locarno brauchte ich schnellstens was zum Futtern (wie letztes Jahr auch, wo die anderen über meinen (unan)ständigen Hunger gelächelt und gelästert hatten; aber das machten sie ja eh schon seit Jahren). 
In meiner Not habe ich mir von einem Asiaten an einem Straßenstand ein seltsames Ding andrehen lassen: Es sah aus wie eine Dampfnudel, die mit Kraut und etwas Undefinierbaren gefüllt war, roch aber recht lecker! Der Typ muss mir angesehen haben, dass ich kurz vor dem Umkippen stand und knöpfte mir für das tennisballgroße Ding umgerechnet 3 Euro ab! Ein Preis, der mir beinahe den Appetit verschlagen hätte; aber ich dachte: lieber arm, als verhungert auf offener Straße...
Und, was soll ich sagen: das Ding war mehr als ausgezeichnet! Für die Hälfte des Preises hätte ich noch zwei dazu genommen, da hätte er mehr eingenommen; aber die Gier nach schnellem Geld überschattet wohl die Wirtschaftlichkeitsrechnungskünste eines hageren Straßenstandasiaten...
Wir wollten das Kloster Madonna del Sasso besuchen und nahmen die Seilbahn. Zu Fuß wäre das nämlich recht schwierig gewesen, zumal ich auch keine Provianttasche dabei hatte.

Die Umgebung des Klosters entpuppte sich als echtes Paradies: Drei Seiten sind von Schluchten umgeben, in denen ein fast subtropisches Klima herrscht; selten habe ich ein üppigeres Pflanzenwachstum gesehen! Beispielsweise entdeckte ich drei Meter hohe und ebenso breite Hortensien, Bäume gigantischen Ausmaßes und natürlich Palmen.
Serpentinenartig wand sich eine Straße nach oben über all dieser Pracht!

    

Im Kloster selbst ging es ebenso pompös zu: Barocke Pracht erschlug uns fast, zumal die Decken mit etwa sechs Metern relativ niedrig waren und lebensgroße Statuen wie auch die nicht gerade klein geratenen Gemälde  in recht großer Anzahl präsentiert wurden.

    

Eines dieser prachtvollen Gemälde nahm mich wegen seiner unglaublich faszinierenden Malerei völlig gefangen: Jesus wird von einer kleinen Prozession getragen und leuchtet dabei überirdisch!
Leider hatte ich kein Blitzgerät dabei, und die Lichtsituation war ohne Stativ nicht zu bewältigen; deshalb weiche ich hier auf Bilder von Diddi mit seiner Knipse aus:

Danach gondelten wir wieder mit dieser herrlich nostalgisch anmutenden Bahn hinunter nach Locarno und durften noch einmal über und zwischen der prächtigen Natur unseren Sinnen eine relativ kurze Zeit des Genießens gönnen.

    

Unten in Locarno waren wir nach einem erneuten Bummel eine Kleinigkeit futtern und dabei wieder über die Preise entsetzt: Ein 0,33 l-Fläschlein Wasser umger. 1 Euro 30; zwölf Ravioli in Öl mit drei winzigen Salbeiblättchen und einer sehr entfernt nach Pilzen schmeckenden Füllung 7,50 - aber hallo, das waren 1995 satte 15 DM! Ich dachte: wenn du hier vor lauter Aufregung über die Preise an Hunger stirbst, kannst du mit Sicherheit deine Bestattung nicht bezahlen...
Dummerweise hatte ich meine Kreditkarte im Hotel vergessen, so dass Diddi mit seiner die in Schweizer Franken ausgestellte Rechnung zahlte; ich sollte ihm den Betrag dann später im Hotel in Lire zurückgeben. Plötzlich kam er in Stutzen: Der Kreditkartenbetrag würde doch aber in DM von seinem Konto abgebucht! Und eine Umrechnung in drei Währungen sei einfach nicht möglich!
Ich sagte dazu vorerst nichts und ließ den verzweifelten Freund rechnen und rechnen; eine Währungstabelle zwischen Franken und Lire gab es am Bootssteg. Irgendwann schien er die Lösung zu haben und präsentierte mir einen Betrag. Ich ließ ihn einfach schmoren, weil ich wusste, dass dieser Betrag falsch war... Manchmal kann ich ganz schön hämisch sein, vor allem dann, wenn es um unseren notorischen Besserwisser geht!Eigentlich wollten wir so gegen 16 Uhr 30 abfahren, aber es gab vor 17:15 kein Tragflügelboot; Diddi meinte, dass wir nur damit zurückfahren dürften, ich war der Ansicht, dass dieser Preis nur ein Zuschlag wäre und wir auch mit einem normalen Boot fahren dürften; den Zuschlag hätten wir demnach verschenkt. Genau also wie bei einem Schnellzug, wenn ich dann doch die Bummelbahn nehme.
Über diese Diskussion und der anschließenden Nachfrage an der Bootsstation verging so viel Zeit, dass wir nicht nur das Bummelboot verpassten, mit dem wir - natürlich - hätten fahren dürfen, sondern auch noch das komfortable Tragflügelboot...
Dietmar freut sich immer wie ein diebischer Schneekönig, wenn er recht hat (was er auch ständig beweisen will), deshalb war er völlig geknickt, dass es diesmal nicht geklappt hatte: so etwas zehrt an seinem Ego... Und später sollte noch ein herber Rückschlag auf ihn zukommen! So saßen wir noch über eine Stunde in der Gegend herum und warteten auf das nächste Boot.
Iris genehmigte sich ein schweineteures Eis, Diddi schmollte, und ich schlenderte herum und notierte mir dabei unaufällig die Umrechnungskurse...

 
In diesem Gebäude, das heute ein Hotel ist, wurde im Jahr 1925 der sog. Locarnopakt geschlossen: Das waren Verträge zwischen Deutschland, Belgien, Frankreich, Großbritannien, Italien, Polen und der damaligen Tschechoslowakei (heute Tschechien) mit dem Ziel des politischen Ausgleichs zwischen Deutschland und seinen Gegnern im Ersten Weltkrieg:
Garantie des territorialen status quo an der deutschen Westgrenze, deutscher Verzicht auf die gewaltsamen Änderungen der Ostgrenzen.


Iris schlabbert einsam und gelangweilt ihr Eis aus zwei Bollen für ~1,25 Euro! Etwa an der Stelle, wo im Jahr zuvor das Spätzlein Kekskrümel aus ihren Fingern genascht hatte.

Auf der Fahrt zum Hotel vereinbarten wir einen Treff am späten Abend, um noch etwas Bummeln zu gehen und vielleicht auch noch irgendwo einen einen preiswerten Abendsnack zu ergattern; ich jedenfalls.
Beim Treff vor dem Hotel präsentierte ich Dietmar meine Rechnung, wobei ich den Umrechnungskurs von Lire in DM auch noch einbezogen hatte, der an der Rezeption hing. Eine solche Rechnung ist für einen Bankkaufmann, der früher ausgerechnet auch noch in der Auslandsabteilung mit Währungsgeschäften zu tun hatte, ein Klacks! Diddi wusste das, hatte es aber in seinem Eifer völlig verdrängt. Meine Rechnung bewies, dass es natürlich geht, über mehrere verschiedene Währungen umzurechnen, und dass er sich dummerweise auch noch zu seinen Ungunsten vertan hatte. Schließlich wusste er nicht, dass es zwei verschieden Kurse gibt: pro Währung einen Ankaufs- und einen Verkaufskurs, die sich deutlich unterscheiden...
Das gab ihm den Rest: Zweimal an einem einzigen Tag nicht recht zu haben, war einfach zuviel für ihn! Wortlos machte er eine Kehrtwendung in Richtung Hotelzimmer, und die arme Iris schlich ihm mit einem bedauernden, aber auch bedeutsamen Blick hinterher...
Ich genoss nach einem kleinen Spaziergang durch das inzwischen weniger gefüllte Luino ausgiebig eine reich bedeckte Pizza, für die ich in Locarno sicher das Dreifache bezahlt hätte; auch über drei Währungen hinweg...
Um etwa 23 Uhr war ich in meinem ungemütlichen Bett angelangt, dessen Matratze in der Mitte eine Kuhle hatte, und in dieser Kuhle auch noch eine Menge Falten.

Montag, 5. Juni

Beim Frühstück um acht Uhr herrschte etwas kühle Stimmung zwischen Dietmar und mir: die Diskrepanzen des Vorabends lagen spürbar in der Luft!
Dennoch machten wir uns alle drei gegen halbzehn Uhr auf, den Lago komplett zu umrunden.
Es regnete (natürlich!), aber das störte uns nicht; schließlich war es unser letzter Tag hier  und wir wollten unseren Plan von gestern doch noch durchführen.
Wer die Umgebung dieser Tour näher betrachten möchte: bitte hier!
Es ging los in Richtung Süden, (für die nicht wenigen Menschen mit Schwierigkeiten dieser Angabe: auf der Landkarte unten!), und schon bald hörte der Regen auf;  jedenfalls bis hinter die untere Seespitze bei Arona, wo wir wieder nach oben gondelten (also nach Norden).
In der Schweiz wurde es wieder trocken, und das letzte Stück war wieder eine Regenfahrt: Über Abwechslung beim Wetter konnten wir uns also nicht beklagen, und auch unterwegs gab es eine Menge zu entdecken! Hier kleine Eindrücke:

Abends gingen wir in das gleiche zweigeschössige, kleine Restaurant, wo wir auch letztes Jahr unser Abschiedsessen mit riesigem Spaß veranstaltet hatten: Vier Teller mit verschiedenen Speisen, die wir kreisen ließen, damit jeder von diesen verschiedenen Köstlichkeiten etwas hat! Das war eine echte Gaudi und auch eine völlig neue Erfahrung, die wir da erfunden hatten:
Man schaut doch öfter mal im Freundeskreis auf die Teller der Nachbarn und fragt sich, wie lecker das wohl ist ist? So lange und so neugierig, bis der Nachbar fragt: 'Magste mal probieren?'
Wir machten also ein Spiel daraus: eine Art "Teller wechsle dich"! Nach einem Viertel des Genusses wurden die Teller jeweils zum nächsten Freund oder Freundin nach links verschoben; so hatte also jeder am Ende gleich vier verschiedene Erlebnisse auf der Zunge!
Bei dem heutigen Essen war ich doch etwas melancholisch geworden, weil es nur drei Teller waren, die zudem nicht mal um den Tisch kreisten...
Um 23 Uhr schrieb ich noch die Notizen dieses Tages auf meine Briefbögen des Hotels.

Dienstag, 6. Juni


Meine Rechnung per Kreditkarte; 286.000! Eine erschreckende Zahl...

Die Rechnungen in den Taschen, im ruhigen Bewusstsein, dass sie erst Tage später auf unseren Konten landen würden, machten wir uns uns kurz vor 10 Uhr auf den Weg zur Heimreise.
Das Wetter war - wie vorauszusehen, weil ja der Hufi mitfuhr - nicht in den höchsten Graden zu loben; eher nieselnd bis schneiend in den Minusgraden, denen wir unterwegs ausgesetzt waren, und die wir erst ganz vehement auf einer Aussichtsplattform auf dem Gotthardt zu spüren bekamen:
Auf der Fahrt schützte mich meine Ausrüstung dermaßen gut, dass ich wieder einmal keine Mark der teuren Bekleidung bedauerte; selbst die dünnen Haarschaf-Handschuhe, entnommen einer afrikanischen Schafrasse, die keine Wolle produziert (wäre ja auch echt doof in der dortigen Hitze), waren den Winterhandschuhen überlegen; zumal diese dicken Dinger auch noch das Gefühl der wichtigen Finger und Hände für das Handling des Moppeds  enorm beeinträchtigten. Und der Oberhit: Dieses dünne, ungefütterte Handschuhleder wurde nicht einmal nach völliger Regen- oder Schneefahrt eiskalt, und nach dem Trocknen war dieses Leder so geschmeidig wier vorher!  Keine Bange: Ich will kein Verkäufer dafür werden, zumal es diese genialen Handschuhe eh nicht mehr gibt...
Nur ein Hinweis noch: sie tun im Jahr 2013 immer noch ihre tollen Dienste! (Und im Jahr 2016, als ich mich von meinem Mopped trennen musste, hatte ich lediglich zwischendurch mal eine durchgescheuerte Daumenkuppe reparien müssen; 2018 benutze ich diese Handschuhe melancholisch bei kaltem Wetter auf meinem eBike!)
Diddi hatte sich nach unseren unterschiedlichen Erfahrungen vom letzten Jahr ebenfalls entschieden, sich solche Allwetterklamotten zuzulegen; allerdings wollte er nicht so viel Geld ausgeben, und bedauerte das jetzt: Irgendwo tröpfelte es in die Jacke, es zog der Wind und die Feuchtigkeit durch nicht optimale Nähte, und in seinen Stiefeln stand das Wasser...


Hoch, eisig, neblig


Vorne rechts mein Mopped; in der Mitte sein Fahrer beim Knipsen des vorigen Bildes


Da wollten wir hinunter, in wärmere Gefilde! (Zwei Bilder in meinem Album übereinander geklebt)

Bei der Fahrt hier herauf wurde mir recht warm, denn meine Gashand spielte mal wieder verrückt, und ich wollte ihr kein Einhalt gebieten: Es machte so ungeheuren Spaß, eine vor uns fahrende Rotte mit 'Joghurtbechern', (voll verkleidete, neumodische Motorräder), auf dieser Serpentinenstraße zu jagen! Die waren einfach nicht wendig genug, um die engen Spitzkehren in einigermaßen anständiger Moppedmanier zu durchkurven.
Ich dagegen kannte ja die Vorteile meines Mädels und schnappte mir erst Dietmar, der etwas erschrocken mit dem Lenker zuckte. Und da hielt es mich absolut nicht mehr: Wie im Rausch (was heißt, 'wie'; ich war im Rausch!) kassierte ich einen nach dem anderen der sechs oder sieben Fahrer; und jedesmal bemerkte ich das leise Zucken der Überraschung, dass ein Verrückter mit einem uralten Mopped schamlos demonstrierte, wie man steile Serpentinen räubert...
Ich war so gefangen in meiner Welt, dass ich erst oben auf dem Gotthard wieder zu mir fand und mich fragte, ob ich denn überhaupt bemerkt hatte, dass die enge Straße doch recht nass gewesen war? Die anderen kamen erst an, als ich meine Selbstgedrehte schon fast geraucht hatte...
Nachdem wir die Aussicht genossen und uns eiskalte Nasen im Wind geholte hatten, machten wir uns auf den Abweg. Auch hier drehte ich wieder völlig durch:
Ein ganzes Stück unter der dem Gipfel: Eine Ampel, die eine Teilstrecke sperrte, auf der offenbar der Belag einer Spur ausgebessert wurde. Und haargenau vor dieser Ampel ein LKW! Ja spinn ich denn? Will uns dieser fette Brocken den Spaß verderben?
Ich rollte an Diddi vorbei (der ja immer die Führung übernahm), und auch an dem LKW. Dummerweise stand dieser so knapp vor der Ampel, dass ich diese nicht mehr sehen konnte! Mit einigen Handzeichen bat ich den Fahrer, mir ein Zeichen zu geben, wann die Startlichter ausgehen und die Strecke freigeben würden; lachend hob er den Daumen und gab wenig Minuten später ein kurzes Lichtsignal. Ich hob kurz die Hand zum Dank und befand mich einige Sekunden danach wieder in meiner völlig anderen Welt...
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Ein kleiner Ausflug in diese Welt eines sehr ambinitionierten Motorradfahrers, dessen Namen unbekannt bleibt, aber seine Gefühle symptomatisch sind für viele Biker:

Wer so etwas noch nicht erlebt hat, wird es wohl kaum nachvollziehen können: Es gibt diesen irren Beschleunigungsrausch, den man zum Beispiel schon in der Zufahrtskurve auf eine Autobahn spürt; schon hier wird in Schräglage so am Kabel gezogen, dass du die Maschine gerade noch so unter deiner Gewalt hast. Nach einem kurzen Blick nach links erkennst du, dass die Bahn frei ist, und dann wird der Hahn gnadenlos aufgezogen, bis der Drehzahlmesser in den roten Bereich gerät! Dann: schalten, schalten und spüren, wie dich die schiere Gewalt der kleinen Rakete vom Lenker nach Hinten wegreißen will, aber du hängst dran wie festgeklebt und schaltest noch mal hoch, wieder den Gashahn bis zum Anschlag aufgezogen...
Nach nur wenigen Sekunden sollte dir bewusst werden, dass du schon bei 180 angelangt bist, obwohl nur 130 erlaubt sind... Und dieses Bewusstsein lässt sich nach einem solchen Schub, der einem das pure Glück durch die Adern rauschen lässt, nur schwer wieder kontrollieren! Die Endorphine spielen einfach verrückt... Aber Abbremsen auf die erlaubte Höchstgeschwindigkeit ist Pflicht. Mist.

Gleiches gilt für die Jagd im Gebirge oder in bergigen Gegenden des heimatlichen Umlandes, mit möglichst vielen Kurven:

Dieses irre Beschleunigungsgefühl gilt hier aber nur sehr kurze Zeit, es wird immer wieder brachial unterbrochen wegen heftigem Zugriff der Bremsfinger: Kurve naht!
Nach der Kurve wird wieder hochgepuscht; und das alles wiederholt sich also so oft wie nur möglich.
Dazu kommt aber noch der Rausch der Schräglage in den Kurven, die so optimal genommen werden müssen, dass die Ausfahrt der Kurve mit bestmöglichem Schwung und Schub in die Strecke dahinter führt; bis wieder mit heftigem Druck auf den Bremshebel das Tempo so dosiert werden muss, dass du erstens schadlos die nächste Kurve überstehst, zweitens aber nicht zuviel abbremst, damit du die Schräglage bis auf die letzte Rille auskosten kannst, um danach wieder den Gashahn aufzudrehen...

Dies alles kostet eine Menge physischer Kraft, mehr noch aber benötigen solche "Irrfahrten" ein ungeheueres Maß an Konzentration: Dein Hirn ist zwar auf einer bestimmten Ebene ausgeschaltet, weil diese irrationale Raserei sämtliche Glückshormone und auch einen erklecklichen Schub an Adrenalin freisetzt, wahrscheinlich besser und effektiver als jeder Drogenrausch. Andererseits sollte dein Hirn aber auch in einer kleine Ecke noch so intakt sein, dass es dich davor warnt, nicht völlig diesem Wahn zu verfallen!
Mein kleines, aufmerksames Eck im Hirnchen hat immer in meinem Motorradfahrerleben rechtzeitig genug erkannt, wann die Grenze erreicht war: Funktioniert das perfekte Zusammenspiel zwischen Geist, Körper und Maschine nur eine Zehntelsekunde nicht mehr, dann sollte dieses Hirneckchen sofort ein rotes Warndreieck einblenden und dich aus deinem Wahn zurückführen ins echte Leben: sanft, aber eindringlich und möglichst sofort! Sonst bist du tot, oder vielleicht schlimmer noch, fürchterlich behindert...

Aber das Motorradfahren ist natürlich auch ohne solche Hirnaushänger immer ein Risiko: 
Dummerweise wirst du von einem unachtsamen Autofahrer mitten in der Stadt erwischt, oder du rutschtst auf einem Kuhfladen im nächsten Dorf aus, oder oder...
Ich selbst musste viermal in meinem Motorradfahrerleben unfreiwillig absteigen (die vielen kleinen Ausrutscher mit den kleinen Maschinchen (Roller, Mokick) aus meiner Jugend nicht mitgerechnet!):
Zweimal nur heftige Schrammen und Blutergüsse; einmal ein aufgeplatzter Finger; einmal ein zertrümmertes Sprunggelenk. All das mit meinem ersten Motorrad, einer 250er Suzuki, im noch naiven Moppedfahreralter von 20 bis 24 Jahren. 

Ende des Ausflugs in die Seele eines Motorradfahrers!
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Nun wieder zur Rückfahrt, die ich ab dem San Gottardo unterbrochen hatte:
Unten, auf der ebenen Landstraße, habe ich viele Minuten auf Diddi gewartet, der ohne einen Blick auf mich zu verschwenden, an mir vorbei rauschte...
Nach einer Weile waren wir dann auf die Autobahn abgebogen und düsten auf dieser durch die Rest-Schweiz und Deutschland bis nach Karlsruhe, wo wir dann wieder auf Bundesstraßen auswichen: Autobahn ist für einen Biker in etwa so lästig wie ein Lineal beim Zeichnen von Wellenformen...
Zu Hause in Ludwigshafen, bevor sich unsere Wege trennten, gaben wir uns während der Fahrt einen kurzen Händedruck: meine rechte in Diddis linke, und natürlich ebenso bei Iris. Unsere ebenso kurzen Blicke dabei waren die reine Versöhnung mit einem Gefühl, wieder einmal ein tolles Abenteuer gemeinsam erlebt zu haben!
Um 18 Uhr 30, achteinhalb Stunden nach der Abfahrt aus Luino, stellte ich die Kawa vor meiner Haustür ab, von wo ich sie 1.367 Kilometer zuvor auf diese Tour gebracht hatte.
Zum Vergleich: Meine Hinfahrt dauerte zwölf Stunden bei 594 Kilometern!

Übersichtkarte

Ganz grob, wo es hinging:

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