Reisehuf

Hier werde ich im Zuge meiner "Aufräumungsarbeiten" dieser Webseite die einzelnen Abenteuer aus meinem ersten Buch "Hindernisreisen" (siehe neues Fenster) als PDF gestalten. Im Buch konnten die enorm vielen Bilder nicht untergebracht werden.

Nach und nach - ab dem Februar 2024 -  erscheinen weitere Geschichten. Einige Abenteuer sind hier schon in die Seite integriert, als "normale" Internetseiten : Die letzten drei im Menü unten.

Diese Buchvorstellung finden Sie unter "Tintenhuf", denn da passt es besser hin!

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Spanien, 1972

Dieser Urlaub ist nicht in meinem Buch veröffentlicht worden, deshalb gibt es hier die komplette Erzählung!

Erstes großes Abenteuer vom 3. August  bis  25. August 1972

Reiseziel: kein bestimmtes; es sollte aber in Spanien liegen, irgendwo an der Mittelmeerküste.

Wo liegt Spanien mit seiner Mittelmeerküste?

Vorwort

Aus unserer Clique hatten sich vier Jungs im zarten Alter von 19 Jahren entschlossen, ihr erstes großes Abenteuer im fernen Ausland zu suchen: Nabs (Norbert), Werner, Wolfgang und Huf (Norbert, der Autor dieser Erzählung) mit zwei VW-Käfern. 
Das besonders Besondere an diesem Abenteuer war, dass zwei andere Jungs ebenfalls die Idee hatten, nur auf völlig andere Art:
Pit und Mike, ebenfalls in diesem Alter, aber viel zu träge für eine anstrengende Reise.
Der Plan dieser zweiten, kleineren Gruppe also: rein in den Flieger, ab nach Malgrat de Mar an der Costa Brava, dort in ein Hotel, Spaß haben. Der Plan der ersten Gruppe: irgendwo hin in den Süden Spaniens, Spaß haben während dieser Abenteuerfahrt, und am Ziel dann natürlich auch!
Der Plan beider Gruppen: Treffen am Hotel der zweiten Gruppe in Malgrat de Mar, irgendwann in den nächsten Tagen! Abflug der Fliegertruppe war einen Tag nach unserem Käferaufbruch.

Ich schildere unsere Autoreise aus meinen knappen Aufzeichnungen, die ich damals anfertigte. Aus dieser Knappheit der Notizen heraus war es mir sehr oft nicht möglich, die genauen Standorte der aufgenommenen Bilderzu rekonstruieren; ich bin aber fast sicher, dass ich alle Bilder in die richtige Reihenfolge gebracht habe! 

Bitte verzeiht inständigst die Qualität der Fotos!
Erstens wurden sie von drei verschiedenen Billig-Kameras aufgenommen, zum Teil mit den damals üblichen Filmkassetten, dazu auch noch mit Normal- und Diafilmen. Die Restaurierung dieser uralten Bilder ist mir nicht überall gelungen, vor allem bei den Dias hatte ich nach einigen Tagen die Geduld verloren: tausende von Klicks auf abertausende Staubflecken und sonstigen Fehlern hatten meinen rechten Maus-Zeigefinger zu sehr geschwächt...

Die Strecken aller einzelnen Tage werden in einem neuen Fenster geöffnet!

Donnerstag, 3.8.72 - Tag 1

Die Strecke des ersten Tages
18 Uhr: Abfahrt aus Mannheim
21 Uhr: Grenzübergang Basel
23 Uhr: 15 km vor Genf Übernachtung auf einem Autobahnparkplatz:

       
Abendessen in meinem Käfer: Wolfgang,               Nachts: links der Käfer von Nabs, rechts der meinige
Nabs,  verdeckt Werner                                            

Freitag, 4.8.72 - Tag 2

Die Strecke des zweiten Tages
Vormittags bei Genf über die Grenze nach Frankreich.
Wir versuchten, so viel Strecke wie möglich zu machen; deshalb nahmen wir, wo immer es möglich war, die Autobahn.
Aber bei kleinen Ausflügen auf kleinen Landstraßen hatten wir viel mehr Spaß!

Samstag, 5.8.72 - Tag 3

Die Strecke des dritten Tages
Um 7 Uhr 23, am Samstag, den 5. August 1972  habe ich zum ersten Mal das Meer gesehen - und auch gespürt! Auf die Aufforderung der anderen, dass ich mal probieren sollte, habe ich natürlich einen kräftigen Schluck genommen und es sofort wieder ausgespuckt: SO salzig hatte ich mir das nicht vorgestellt! Wegen gigantischem Verkehrsaufkommen sind wir auf winzige Landstraßen ausgewichen und haben dabei mexikanisch anmutende Landstriche durchfahren, wie man sie aus Westernfilmen kennt: ausgedörrt und steinig, menschenleer und nur äußerst spärlich bewachsen.
Diese Gegenden haben Wolfgang und mir ausgeprägt gut gefallen, wir hätten gerne mehr davon gesehen; aber Nabs und Werner wollten weiter - so schnell wie möglich an unser Ziel: das Hotel der beiden Kumpels aus der Fliegertruppe.

Schließlich waren wir also wohlbehalten in Malgrat de Mar angekommen, das gleich neben dem bekannteren Lloret de Mar liegt. Pit und Mike zeigten uns ihre Unterkunft und das Hotelgelände mit Pool, das sie seit ihrer Ankunft vor zwei Tagen noch kein einziges Mal verlassen hatten... Schließlich sind es ja gut 250 Meter bis zum Strand; und wenn man einen Pool vor der Haustür hat: warum soll man dann im Urlaub die Strapazen eines solch langen Fußweges auf sich nehmen?
Für uns vier Naturburschen war eine solche Denkweise völlig unverständlich! 
Da es schon recht spät geworden war, machten wir uns nach einer Plauderstunde auf den Weg, einen Platz für die Nacht zu suchen, während sich die beiden Kumpels fein machten für die Nacht in der Disco. Und selbstverständlich fanden wir auch eine tolle Schlafgelegenheit: unten am Meer gab es einen Bootsverleih, der seine Prachtstücke auf dem Strand in eine Reihe aufgestellt und zur Sicherheit mit Scheinwerfern beleuchtet hatte. Wolfgang und ich wollten uns dort niederlassen, aber Nabs und Werner war das zu haarig, mitten in dem Licht, und blieben lieber weiter oben, in der Nähe der Straße.

Spaziergang durch das "Altdorf" Malgrat, in das sich kaum ein Hotelgast verirrt; wozu auch?
Wolfgang beim Gute-Nacht-Trunk an unserem ausgewählten Schlafplatz

Was wir nicht wussten: in Spanien ist das wilde Campieren streng verboten, im Gegensatz zu Frankreich! Werner und Nabs erfuhren das als erste, weil sie von einer Polizeistreife entdeckt wurden! Wolfgang und ich hatten das erst am nächsten Morgen mitbekommen, als wir unsere Kumpels wieder sahen, denn uns hatte die Policia nicht entdeckt: die Scheinwerfer leuchteten nämlich vom Strand weg, so dass man von der Straße aus in sie hinein schauen musste und deshalb keine Einzelheiten im Schattenbereich erkennen konnte.
Nabs als Besitzer seines alten VWs konnte das aber recht gut hinbiegen: er demonstrierte, dass der Anlasser nicht funktionierte und die beiden also auf den nächsten Morgen wartern mussten, um eine Werkstatt um Hilfe bitten zu können. Was die Policia natürlich nicht wusste: Nabs hätte ja einfach wieder einmal mit dem Hammer auf den Magnetschalter des Anlassers klopfen müssen, wie weiter oben schon erwähnt... So sind die zwei glimpflich davon gekommen!

Sonntag, 6.8.72 - Tag 4

Die Strecke des vierten Tages
Frühmorgens haben wir im und am Meer herumgetobt. Von den Kumpels hatten wir uns schon am Vorabend verabschiedet, weil die beiden nach langen Disconächten sowieso nie vor dem Mittag in die Gänge kamen; zu dieser Zeit aber erreichten wir schon Barcelona: eine irre Stadt! Wir bekamen allerdings nur Eindrücke von recht weit oben, weil die größtenteils sechsspurige Stadtautobahn etwa in Höhe der sechsten oder siebten Stockwerke durch die Hochhausschluchten führte! Eine grandiose Aussicht und natürlich eine erhebende Erfahrung war das aber allemal.
Knapp hinter Sitges machten wir eine Pause und beratschlagten über das weitere Vorgehen, weil Werner und Nabs offensichtlich andere Reisewünsche als Wolfgang und ich hegten: die einen wollten so schnell wie möglich so weit wie möglich in den Süden, die anderen wollten es lieber gemütlicher angehen lassen und dabei die Gegenden intensiver erfahren.
Also trennten wir uns einvernehmlich und gutmütig!
Nabs und Werner rasten mit Höchstgeschwindigkeit von fast 120 km/h im grünen Käfer weit entfernten Zielen entgegen, während Wolfgang und ich hier erst einmal Station machten.

Montag, 7.8.72 - Tag 5

Wir suchten uns ein Plätzchen am Strand, badeten, dösten, fuhren Schlauchboot. Zu Mittag gab es Bratkartoffeln mit Rührei; da wir Salz vergessen hatten, würzten wir einfach mit Meerwasser! Nachmittags erkundeten wir die Umgebung, kauften etwas Lebensmittel ein und machten es uns an unserem Plätzchen wieder gemütlich.

 
Die Kirche von Sitges

Während wir so da saßen und die Kerne einer Wassermelone duch die Gegend spuckten, hatte ich wieder einmal die Organisation von Ameisen bewundert: Diese hier waren weit größer als die bei uns zu Hause, und so konnte ich sie auch viel besser bei ihrer Arbeit erkennen. Nachdem eine oder zwei Späher einige Kerne entdeckt hatten, eilten sie irgendwohin, um die Arbeiterinnen zu informieren. Diese wiederum folgten den Spähern, schnappten sich die Kerne, die im Vergleich riesig groß zu ihren Körpern waren, und trugen und zerrten die schweren Brocken durch das unwegsame Gelände. Immer, wenn andere Ameisen dazustießen, wurden kurze Informationen ausgetauscht, und die Neuankömmlinge eilten in die Richtungen, die ihnen von den Kolleginnen übermittelt wurden. 
Manchmal, wenn sich eine Emse im Urwald des Grases fast verfangen hatte und ihre Beute kaum noch weiter zerren konnte, drang mich mein Samariterherz zur Hilfe: ich ebnete den Weg, indem ich Gräser plattdrückte oder winziges Geäst beiseite legte; und ich freute mich, wenn die Schwerstarbeiterin ihren Weg etwas leichter fortsetzen konnte!
Faszinierend, dieses Volk.
Am Abend bekamen wir Besuch von einem Polizisten, der unmissverständlich mit heftigen Worten und Gebärden ausdrückte, dass wir hier verschwinden sollten! Ich stolperte: "Una noche, prego! Solamente hasta mañana, prego!" ("Eine Nacht, bitte! Nur bis morgen, bitte!") und machte dabei ein liebes Gesicht und faltete bittend die Hände. Schon nicht mehr so streng dreinschauend fragte er nach: "Una noche?" - "Si, si!"  - "Okay! Buenas noches!" meinte er dann, jetzt sogar freundlich lächelnd ("Gute Nacht!") Es folgten noch einige Worte, die ich etwa so interpretierte: "Ich komme morgen früh vorbei und schaue nach!" Übrigens: er hatte tatsächlich 'okay' gesagt.
Wolfgang schaute mich völlig perplex an und meinte: "Ich wusste gar nicht, dass du spanisch kannst!" - "Ich auch nicht!" grinste ich.
Mir war schon kurz nach der Grenze aufgefallen, dass ich viele Worte an Geschäften, an Werbeplakaten oder den Seitenflächen der LKW verstehen oder zumindest erahnen konnte. Das lag wohl daran, dass ich Latein und Französisch gelernt und mich ja auch schon mit dem Italienischen angefreundet hatte; diese Sprachen weisen in ihren Grundzügen starke Ähnlichkeiten auf. Fortan achtete ich bewusst darauf, geschriebene Worte und Sätze zu verstehen und auch Menschen zuzuhören, um ein Gefühl für die Aussprache zu bekommen; das machte mir richtig viel Spaß!
Eine Sache an einer fremden Sprache ist die des Verstehens, die andere die des Sprechens. Wenn du aber spanisch sprichst wie ein Deutscher deutsch, dann ist das absoluter Käse: Es muss die Harmonie der Aussprache, der Betonung stimmen. Ich konnte das schon als junger Mensch üben, immer in den großen Ferien bei meiner Omi in Stuttgart: Schon am Ende der zweiten Ferien hatte ich das Schwäbisch richtig gut drauf! Später bescheinigten mir sogar Franzosen, dass meine Aussprache so gut wie keinen Akzent aufweist, ich würde glatt als Franzose durchgehen, zumal es natürlich auch in Frankreich enorm viele Dialekte gibt.
Ja, ich hatte ein Talent für Sprachen. Auch wenn es nur Österreichisch, Sächsisch oder Fränkisch war: Etwas Zuhören genügte, und ich hatte diese besonderen Eigenarten dieser Dialekte drauf. Später bedauerte ich, dass ich diese Gabe nicht ausgebaut hatte: Eigentlich träumte ich davon, mindestens vier Fremdsprachen zu beherrschen, dazu noch das Hochdeutsche: und ausgerechnet das viel mir besonders schwer... Aber es klappte dann doch noch.

Dienstag, 8.8.72 - Tag 6

Die Strecke des sechsten Tages

Auf dem gemütlichen Weg nach Calafell kam uns die glorreiche Idee, vor einem Zeltplatz zu halten und so zu tun, als gehörten wir dazu und kämen gerade vom Strand. So gelangten wir für ein paar Pesetas an eine tolle Dusche!

ein einsames Dorf

Mittwoch, 9.8.72 - Tag 7

Die Strecke des siebten Tages

Recht früh aufgestanden wollten wir heute einmal wieder richtig Strecke machen: unser erklärtes Tagesziel war Valencia.
Dabei mussten wir Tarragona durchqueren, eine recht große Stadt. Ein Aquädukt aus römischer Zeit, das - kurz vor der Stadt gelegen - die Jahrhunderte überdauert hatte, ließ uns die gigantische Baukunst der alten Römer mit offenen Mündern bestaunen: unfassbar, was diese Archtikten vor eineinhalb Tausend Jahren dorthin gestellt hatten - und dass es heute immer noch steht! Und das alles nur, um Wasser über ein Tal fließen zu lassen...

Nach dem Aufenthalt in Tarragona wollten wir es eigentlich fliegen lassen, aber immer wieder drängte uns unsere Neugier von der Strecke ab, wenn wir das Gefühl hatten, es gäbe abseits etwas zu vermissen:

     


Dadurch schafften wir es nicht bis Tarragona, sondern nur bis kurz hinter Sagunto, wo wir in inzwischen stockdunkler Nacht ein Quartier für unser Gefährt suchten. Der selten doofe Huf steuerte zwar in die richtige Richtung des Meeres, versenkte aber die Karre im Sand des Ufers...
Es war völlig unmöglich, den bis zu den Achsen eingesunkenen Käfer zu befreien; auch mit den Fußmatten nicht, die wir als Rutschbremse vor die Hinterräder legten! Also ließen wir uns vor dem Auto nieder und wollten den nächsten Morgen abwarten, und dann - ja, da hatten wir allerdings keine Ahnung, was dann geschehen würde...

Nach einem Umzug ans Heck des Autos, weil es kühler wurde, der Motor aber noch Wärme abstrahlte, hatten wir plötzlich das Gefühl, dass es doch Wunder gibt: zwei Nachtschwärmer englischer Herkunft schlenderten am Strand entlang und lachten erst einmal, wie wir da so hilflos im Sand steckten!
Dann aber ließen sie sich gerne auf einen Plastikbecher Moscatel einladen, und wir überlegten gemeinsam, wie wir die Karre wieder aus dem Dreck ziehen könnten. Fazit: in dieser Nacht hätte das keinen Sinn mehr; sie wollten aber gerne morgen mit ihrem Mietauto wieder kommen und versuchen, uns mit einem Abschleppseil heraus zu kriegen!
Nach einem Erinnerungsfoto mit uns beiden Pechvögeln und vielen Gute-Nacht-Wünschen zogen sie davon, und wir beide hatten nicht den geringsten Zweifel, dass sie am nächsten Tag wieder erscheinen würden...

Anmerkung: diese "Ami-Jacke", die ich hier anhabe und die mich viele Jahre lang begleitete (bekleidete?), habe ich fast 45 Jahre danach immer noch! Ein fast unverwüstliches Teil, und außerdem das zweitälteste Kleidungsstück, das ich noch habe, mit sehr vielen Erinnerungen behaftet... Okay, die Jacke spannt zwar etwas am Bauch und an den Schultern, aber wenn ich reinschlüpfe, fühle ich mich um viele Jahre zurück versetzt! Nostalgie pur...

Donnerstag, 10.8.72 - Tag 8

Erfreulich! Die beiden Engländer tauchten wirklich am Vormittag auf, und sie schafften es wirklich, uns zu befreien! Im Tageslicht erkannte ich, dass ich einen felsigen Teil des Strandes nur um gut drei Meter verfehlt hatte... Von dort auf dem sicheren Untergrund zogen uns die beiden heraus.
Danach zogen wir ab nach Valencia, das ja nicht mehr weit entfernt lag:
Eine palmengesäumte Straße entlang und über eine Brücke eines verdorrten Flusses - und schon waren wir da: in Valencia!

     
Erster Eindruck: recht hässlich; oder, sanfter ausgedrückt: ungemütliche Großstadt.
Zweiter Eindruck: ausgestorben! Kaum Autos unterwegs, umher schlendernde Menschen schon gar nicht!
Nächstes Gefühl: nagender Hunger!
Wir suchten verzweifelt nach einem Supermarkt oder wenigstens einer Art Kiosk; nix, gar nix!
Schließlich kam uns die Erkenntnis, dass jetzt Siesta sein musste: deshalb die verödeten Straßen!
Aber deswegen könnte doch irgendwo ein Lebensmittelgeschäft sein, auch wenn es um diese Mittagszeit geschlossen wäre?
Kaufen denn die Valencianer nichts ein, wenn sie keine Siesta halten? Sehr dubios...
Wenn wir ein Geschäft gefunden hätten, dann hätten wir vor den Türen gerastet, bis sich die Türen wieder geöffnet hätten.
Endlich entdeckten wir an einer Straßenecke in der Nähe des Hafens eine Art "Lokal", und das hatte geöffnet! Also nix wie rein.
Drinnen: hell und freundlich, aber klein und leblos.
Schon nach gut vier Minuten tauchte jemand auf, offensichtlich völlig erstaunt, dass jemand zu dieser Tageszeit die Dreistigkeit hatte, die allgemeine Siesta zu stören. Etwas verschlafen wirkend, legte uns der junge Mann mit einem knappen "buenos dias" eine Speisekarte auf den kleinen, runden weißen Plastiktisch und verzog sich wieder in den Hintergrund. Ich hatte das Gefühl, dass er dabei ein leicht höhnisches Grinsen im Gesicht hatte...
Man hat ja schon gehört, dass in exotischen Ländern die Speisekarten nicht nur in der Landesprache geschrieben sind, sondern ebenso exotische Zutaten in eben diesen Speisen enthalten sind! Deswegen wurde mir ganz mulmig: Erstens verstand ich natürlich nicht ein einziges Wort auf der Karte, und zweitens hatte ich mordsmäßig Angst, dass sich dabei allerlei Tierzeugs aus dem nahe gelegenen Meer befinden könnte: darauf reagiere ich nämlich äußerst ungehalten; im günstigsten Fall mit spontaner Magenentleerung, sofern ich nur den Hauch eines Fischgeschmacks auf der Zunge habe!
Also: was tun? Wolfgang verstand natürlich überhaupt nichts; weder die Karte noch meine Aversion gegen Fischiges.
Ich nahm meinen ganzen Mut zusammen, während mein Magen gefährlich durch das kleine Lokal knurrte, und bestellte in fließendem Spanisch 
"Dos platos del turistico del dia" ("Touristenteller des Tages";  in meiner sprachlichen Genialität machte ich aus einem Teller zwei, damit Wolfgang in den gleichen, zweifelhaften Genuss kommen musste). Ebenso fließend ergänzte ich aus meinem Bauch heraus: "...y dos cerveza, prego!" (schlicht und ergreifend: "...und zwei Bier bitte!").
Die beiden Biere kamen zuerst und machten nicht besonders Mut: schal und warm, auch geschmacklich in "unter aller Sau" einzuordnen.
Als allerdings die "Platten" ankamen, trauten wir unseren Augen kaum: 
Zwei schneeweiße Porzellantellerchen, auf denen sich je drei Stück "Dinger" befanden, die sich in ihrer dunklen Farbe angenehm von ihrem Untergrund abhoben,  nur dadurch aber überhaupt zu erkennen waren; sie waren einfach viel zu klein für den kleinen Teller!
Als Beilage gab es Messer und Gabeln.
Vor lauter Staunen konnte sich keiner überwinden, mit der Gabel in diese Herrlichkeiten zu stechen, die für mich aussahen wie Seeteufel, Seeigel und Seespinne. Natürlich nur jeweils ein Scheibchen von diesen ausgesuchten Leckereien. 
Wolfgang stach als erster zu und Schnitt ein winziges Stück ab: "Jaaa!" jubelte er, "das schmeckt nach gar nix!" Bei den anderen beiden Proben unterschieden sich seine Begeisterungsausrufe nur unwesentlich vom ersten. Also langte auch ich zu - und ich musste wohlwollend gestehen, dass ich etwas, das offenbar aus dem Meer kommt, noch nie in einer solchen Geschmacklosigkeit genießen durfte! 
Erst als mich Wolf darauf aufmerksam machte, dass die Beilagen wahrscheinlich nicht zum Menü gehören, wurde mir bewusst, dass meine hungrigen Zähne versuchten, die Griffe des Bestecks abzunagen.
Die Flucht aus diesem Schlemmerlokal führte uns durch die immer noch leer gefegten Straßen in eine Gegend gleich um die Ecke, wo wir das Meer mit seinen enorm aufbrausenden Wellen bewunderten, die gegen tausende von Steinblöcken vergeblich anschlugen: diese wurden offensichtlich völlig willkürlich hierhin "geschüttet", um dem Drang des Meeres zur Eroberung des Küstenstreifens entgegen zu halten.
Hier entdeckten wir Taschenkrebse, die wie wild in der Brandung der Steinbrocken herumtobten - oder vor ihr Zuflucht suchten?
Und hier machten wir eine Dummheit, die ich mir bis heute nicht verzeihen kann! Ich schäme mich, dass ich eine solche Grausamkeit begangen habe; aber sie gehört nun mal zu meinem Leben, und ich will sie nicht verbergen:
Die Taschenkrebse hatten es uns angetan, wir wollten unbedingt einen als Souvenier mit nach Hause nehmen; also begaben wir uns auf die Jagd.
Die Krebse waren wesentlich schlauer und flinker als wir zwischen den Steinbrocken; es schien, als grinsten sie uns hinterhältig an, während sie sich in die Brandung stürzten. Wir bemerkten aber, dass alle, auch die kleineren, ihr Heil im Sprung nach unten suchten. Also holten wir unsere Plastikbecher und hofften, dass wir vielleicht einen im Flug auffangen können. Unsere Überraschung war äußerst groß, als wir schon bei den ersten Versuchen einige kleine Krebse erwischten: es schien, als würden sie direkt in den Becher zielen!
Bis auf je einen für uns entließen wir sie wieder in die Freiheit, und diese beiden einen mussten dran glauben - aber wie? Wir wollten sie ja in einem Stück nach Hause bringen, also würde ein Genickschlag nicht das Richtige sein; und außerdem: wo hat ein Krebs ein Genick?
Die Lösung: ersäufen! Ja! Natürlich nicht in Wasser, sondern in unserem starken Moscatel; das würde ihnen hoffentlich sehr schnell die Sinne rauben, vor allem, wenn wir das gute Gesöff vorher noch etwas anwärmten.
Wir stellten zwei weitere Becher auf das Autodach, füllten sie zur Hälfte mit dem Wein und warteten, bis die Brühe warm wurde. Dann kippten wir die zwei armen Burschen hinein, je rund drei Zentimeter klein (nur der Panzer) und warteten, bis sie alkoholisiert einschlafen würden. Später könnten wir sie leicht in der Sonne trocknen.
Die Tierchen müssen Alkoholiker oder sonstwie resistent gegenüber dem Wein gewesen sein: sie hörten und hörten nicht auf, in der warmen Alkoholsuppe herum zu strampeln! Völlig ratlos standen wir daneben und diskutierten, wie wir der Qual ein schnelles Ende bereiten könnten, für eine Rettung war es eh schon zu spät; aber wir hatten keine Idee.
Endlich, nach vielen langen, langen Minuten der Verzweiflung - auf beiden Seiten! - erstarben die Bewegungen in den Bechern und damit auch die Leben in den kleinen Panzern...
Lange Zeit waren wir nicht imstande, die Becher auszuleeren; wir standen nur herum, schauten uns schuldbewusst an oder aneinander vorbei...
Ich bin sicher, das war die größte Grausamkeit, die ich in meinem Leben einem anderen Leben zugefügt habe; ich bedauere das außerordentlich und schäme mich dafür in Grund und Boden!
Noch heute ruhen die in filigrane Stücke zerbrochenen Reste in einer kleinen Filmkapsel in meinem "Erinnerungs-Setzkasten"; ich habe es nie fertig fertig gebracht, diese Bruchstücke einfach wegzuwerfen! In meinem jugendhaften Trieb hatte ich ein Leben auf grausame Weise beendet; die Chininbruchstücke des kleinen Kerls sollen mich allzeit an diese Untat erinnern...
Wir beschlossen, dass Valencia südlich genug sei und wir uns wieder nach Norden orientieren sollten.
In der Nähe von Sagunto fanden wir einen Zeltplatz, wo wir das erste Mal in diesem Urlaub mein Zelt aufbauten. Danach stürzten wir uns in die Fluten und wurden von den knapp zwei Meter hohen Wellen regelrecht überrannt: irre, solche Wasserberge! So etwas gab es bei unseren Wochenenden an den heimischen Baggerseen nur in unserer Fantasie...

Freitag, 11.8.72 - Tag 9


Gammeltag auf dem Zeltplatz bei bewölktem Himmel; ab und zu leichter Regen. 
Die frisch gewaschene Wäsche trocknete aber trotzdem.

Samstag, 12.8.72 - Tag 10

Die Strecke des zehnten Tages 
Am Vormittag hatten wir das Zelt abgebaut und machten uns langsam auf den Rückweg. Allerdings mussten wir nach einigen Kilometern nach links, vom Meer weg, abbiegen, weil die Gegend so toll aussah und wir das Gefühl hatten, dass es dort etwas zu sehen geben musste!
Über eine enge Schotterstraße ging es in die Berge hinein; nur alle paar Kilometer gab es winzige Dörfer mit uralten Häuschen. Und irgendwann stieß die Straße in einem Dorf auf einen winzigen Platz, der von niedrigen, ehemals wohl weißen, alten Häuschen umgeben war. Wir fanden es ziemlich seltsam, weil der Weg keine Abzweigung hatte, die um den Platz herum führte - also blieben wir stehen und stiegen aus.
Zwei steinalte, weißbärtige Männer, die am Ende des Weges vor einem Häuschen auf einer Bank hockten, beobachteten uns intensiv und neugierig; es dauerte nicht lange, da kamen auch einige Kinder zum Vorschein: eng aneinander gedrängt verfolgten ihre Augen jeden unserer Schritte, einen Sicherheitsabstand strikt einhaltend!
Links und rechts des Plätzchens schauten wir uns um und kamen zu dem eindeutigen Schluss, dass es hinter diesem Dorf nicht mehr weiter ging. Keine Straße, kein Weg, nur trockene Berge!
Weder die beiden Alten noch die Kinder erweckten den Eindruck, als ob sie Kontakt mit uns wünschten. Es hatte den Anschein, als ob zumindest die Kinder noch nie ein solches rundes Auto oder gar Ausländer gesehen hatten! Das Bild der Kuh, das ich auf der Seite des VW aufgeklebt hatte, schien auch nicht vertrauenseinflößend zu wirken.
Wir kehrten um und wunderten uns einfach nur...
Nach gut einer Stunde stießen wir wieder auf die Schnellstraße an der Küste und gaben Gas bis zurück nach Sitges. Dort mussten wir an einem Strand im Auto übernachten, weil es recht heftig regnete.

Sonntag, 13.8.72 - Tag 11

Recht früh am Morgen, als wir uns noch in den Schlafsäcken im Auto befanden, bekamen wir schon wieder Besuch von der Polizei: Zwei strenge Beamte machten uns klar, dass wir sofort weiterfahren sollten! Wildes Camping ist strikt verboten!
So ganz verstanden wir das nicht: im Auto schlafen ist doch kein Campen?
Also zischten wir ab nach Malgrat de Mar, dem Hotelort unserer Kumpels, der ja nur etwa 10 Kilometer weit entfernt war. 
Gegen Mittag stolperten unsere beiden Kumpels aus dem Hotel, wie es schien, leicht übernächtigt! Wir verbrachten etwa zwei Stunden damit,  gegenseitig unsere Erlebnisse zu schildern, was Wolfgang und mir ziemlich bald auf den Senkel ging: Von den beiden war kaum etwas anderes zu hören als Schilderungen ihrer Disconächte und der danach erschöpften Gänge zum Hotelpool, frühestens um ein Uhr mittags...
Seltsam erschien uns auch, dass sie von den Mädels immer nur solche Sachen erzählten wie "No, Pedro! No Michele!" Und sie lachten sogar noch dazu... Verrückte Welt.
Wolfgang und ich wollten den Ort und die Umgebung zu Fuß zu erkunden; unsere Hotelboys meinten dazu, dass sie doch im Urlaub keinen unnötigen und anstrengenden Fußweg unternehmen könnten, schließlich seien sie zur Erholung hier!
Na ja, Urlaub sieht halt für jeden anders aus...
Nach einem Rundgang um den Ferienort herum entschieden wir, dass das Umland nicht besonders einladend ist, und so erkundeten wir den Ort selbst: In den hintersten Winkeln war Malgrat noch sehr ursprünglich; einfache Steinbauten, die nicht nur Wohnstätten beherbergten, sondern auch Einkaufsmöglichkeiten aller Art. Viele dieser kleinen, aber sehr heimeligen Geschäfte hatten wohl kaum Touristen als Kunden: schließlich wurden die Hotelgäste mit bekannten Leckereien aus der jeweiligen Heimat verwöhnt... Verrückte Welt.
Wir beide jedoch - neugierig und weltoffen - , probierten hier und da, ob für unsere Gaumen etwas Passendes dabei war; und wir waren immer wieder erstaunt über die kleinen Köstlichkeiten, die so fremd und doch so lecker schmeckten! Auch an einem Sonntag wie diesem war so gut wie jedes Geschäft geöffnet.
An einem Häuschen, das wie eine Felswand aussah, wurden wir von einem jungen Mädchen vor einem Eingang angelockt, der eher dem Zugang zu einer Grotte glich als einer Tür in das Innere eines Gebäudes: "Degustar, prego! Com in! Probiere! Vino, Licor, Snaps!" Mit diesem Kauderewelsch hielt uns die hübsche Kleine zwei winzigen Plastikbecher entgegen und lockte uns ins Innere:
Dieses Innere stellte sich tatsächlich als ein Grotte heraus, aber eine, die man gekonnt ausgebaut hatte und den Inhalt wirksam zur Schau stellte:
An den felsbrockenen Wänden waren knapp zwei Meter hohe Regale angebracht, die in einem Halbrund eine Unzahl an alkoholischen Getränken präsentierten: ganz links fing es an mit Schnäpsen aller Art; danach kamen Reihen von Whyskies, und den überwiegenden Teil der Wände nahmen Weine ein - alles sehr adrett in Reihen gestellt und von den klaren Getränken bis zu den dunklen Varianten der einzelnen Arten geordnet! So etwas Ansprechendes habe ich seitdem nicht mehr gesehen.
Wir beide ignorierten sofort die äußere linke Seite mit dem härteren Zeug und wendeten uns den Weinen zu, die zwei Drittel der Regalwände einnahmen: Hier und da ein Schlückchen, dort auch noch eines, und jenes und dieses aber bitte auch noch! Bei jeder neuen Probe bekamen wir ein neues Becherlein; wir fürchteten fast, dass dem hübschen Mädchen die schnapsglaskleinen Plastikdinger ausgehen würden, währen wir hier eine regelrechte Probier-Orgie feierten!
Schließlich -  und endlich! - brachen wir die Testerei ab, weil wir einfach nicht mehr weiter testen konnten... Aus einem glückseligen Dank heraus kauften wir jeder sechs Flaschen verschiedener Weine und versprachen, dass wir am nächsten Tag noch zwei Freunde hierher bringen würden. Wir hätten dies wahrscheinlich nicht gemacht, wenn die Preise nicht so unergründbar günstig gewesen wären.
Nach dieser "Verköstigung" wollte ich um das Häuschen herum gehen, aber das klappte nicht: 
Nicht etwa, weil meine mittelschwere Benebelung die Orientierung störte, sondern weil dieser traumhafte Laden tatsächlich in einer Felswand lag!
Wir beide waren völlig begeistert und sinnierten, dass man so etwas auch in Mannheim auf die Beine stellen könnte. Die Idee scheiterte aber bald darauf, als wir feststellen mussten - nach langem, langsamen Nachdenken, wohlgemerkt -  dass wir in Mannheim eher selten natürlich gewachsene Felswände haben, und Grotten schon mal gar nicht... 
Schwer bepackt mit Taschen und  auch im Geiste etwas schwerer als sonst lieferten wir unseren Einkauf  in meinen zwei Käfern ab, legten uns zwei Stunden direkt daneben in den Sand und machten uns nach dieser kleinen Ernüchterungsphase auf, den Schatten dieses plötzlich wieder einen Käfers zu verlassen und unsere Hotelkameraden aufzusuchen, was recht schwierig war: immerhin war es erst kurz nach Mittag, und die beiden pennten noch.
"Was macht ihr denn heute Abend?"
"Jo, wie immer: ab in die Disco neben dem Hotel und abfeiern, wir sind ja immerhin im Urlaub!" 
"Wann kommt ihr in der Regel zurück?" fragten wir.
"Oha! Selten vor vier Uhr morgens!" lachten sie.
Wir beide: "Das passt doch! Um diese Zeit stehen wir auf und suchen unsere eigenen Abenteuer. Dürfen wir bis dahin euer Zimmer benutzen?"
Absolut ungewöhnlich für uns: 
Wir badeten im Hotelpool, sonnten uns an dessen Rand und duschten danach auf dem Zimmer ausgiebig. Wir testeten schon mal die Betten: sie waren nicht zu vergleichen mit dem Sand unter unseren Schlafsäcken, der ein völlig anderes Schlafgefühl bietet; und außerdem würde die aufgehende Sonne fehlen, die einen aus dem Schlafsack kitzelt.
Von dem kleinen Balkon aus genossen wir einen gigantischen Ausblick aus dem siebten Stock: Links massenhaft andere kleine Balkone, nach unten und oben; gegenüber das gleiche Bild; rechts aber der irre Blick auf den Pool und noch ein Stückchen weiter rechts wieder diese traumhaften Balkone! Stundenlang hätten wir hier verweilen können...
Wenn ich nicht links auf etwa gleicher Höhe zwei Mädels auf  einem Balkon entdeckt hätte!
Forsch winkten wir hinüber und setzten unser fröhlichstes Lächeln auf in der Hoffnung, dass die beiden das auch in dieser Entfernung wahrnemen konnten. Sie winkten zurück und, sofern wir das aus etwa dreißig Metern richtig interpretierten, lachten sie dabei und stupsten sich gegenseitig an!
Solchermaßen ermutigt machte ich Zeichen, ob wir uns nicht unten in der Lobby treffen könnten und versuchte dabei, so unaufdringlich und sympatisch zu wirken wie es nur irgend ging; (ganz ich selbst also). Etwas scheu, wie uns schien, stimmten sie zu.
Unten entdeckten wir zuerst, dass wir in unserem Outfit nicht so ganz zu den anderen Hotelgästen passten, aber das war uns so ziemlich wurscht. Danach entdeckten wir die zwei Blondinen, die etwa in unserem Alter waren und noch recht hübsch dazu! Etwas verlegen standen sie dort herum, und ich - Selbstbewusstsein heuchelnd - schlenderte mit Wofgang im Schlepptau auf sie zu; immer um ein freundliches, nicht aufdringlich wirkendes Lächeln bemüht.
Höflich begrüßte ich die beiden in fünf Sprachen: "Guten Abend, buenos tardes, bon soir, buona sera, good evening!" - und ich lächelte dabei so herzlich und doch höflich wie es ging in meiner Aufregung; Wolfgang stand irgendwie betreten neben mir und brachte kein Wort heraus, lächelte aber ebenfalls in bester Bemühung.
Es stellte sich schnell heraus, dass die Mädels Engländerinnen waren und erst vor drei Tagen hier ankamen. Ich lud uns alle zu einem Strandspaziergang ein, und alle waren einverstanden! Jetzt bekam ich ein dickes Lob: mein Englisch sei sehr gut, meinten die Blondies einhellig.
Kurz vor dem Ausgang meinte eine der beiden enttäuscht: "O, it is raining outside!" - wobei sie unglaublich schön die Worte in einem Akzent betonte, den ich besonders mag: "raining" genau so ausgesprochen, wie es geschrieben wird! Und ich verkniff mir dabei die Bemerkung, dass es glücklicherweise nur 'outside' regnete...
Mist, es regnete wirklich! Uns beiden Naturburschen wäre ein Spaziergang im Nieselregen am Meeresufer entlang romantisch vorgekommen, aber den Mädels in ihren zarten Kleidchen wohl eher nicht.
Also disponierte ich kurz um und schlug vor, einen unserer besten Weine mit auf  ihr Zimmer zu bringen, dort könnten wir ja ganz gemütlich etwas plaudern! Völlig baff vernahm ich die Antwort: "Klar, sehr gerne!"
Um an dieser Stelle sämtlichen Spekulationen die Fantasie zu nehmen: Wir verbrachten einen sehr angenehmen Abend zusammen, bei dem ich immer den Dolmtescher spielen musste - was aber sehr viel Spaß machte, weil Wolfgang versuchte, sich mit Händen und Füßen auszudrücken!  Ja, wir hatten viel Freude an diesem Abend, aber mehr auch nicht: schließlich war ich ein treuer junger Mann, auf den ein hübsches und liebes Mädel zu Hause wartete... Und wenn ihr denkt, dass ich hier schwindle, dann denkt es halt.
Ob die Mädels erfreut oder enttäuscht waren über diesen Ausgang des Abends kann ich nicht sagen; jedenfalls hatten sie aber ebenso viel Freude wie wir! Je ein leichtes Küßchen auf die Wange, und weg waren wir.

Montag, 14.8.72 - Tag 12

Unsere Kumpels Pit und Mike schmissen uns nicht am frühen Morgen aus ihren Betten, sondern wir verzogen uns schon vorher!
Im Sonnenaufgang genossen wir ein ausgiebiges Bad im Meer, obwohl es recht frisch war - zumindest an der Luft, die vom Regen der vergangenen Nacht noch feuchtschwanger über dem Strand hing; das Wasser aber war herrlich warm, oder es erschien uns jedenfalls so, im Vergleich zu der kühlen Luft.
Nach einem ausgiebigen Frühstück am Strand beschlossen wir, hier noch etwas in unseren Schlafsäcken zu dösen und dann den Hoteljungs eine Überraschung zu bereiten! 
Ich gestehe an dieser Stelle gerne, dass ein Bett in einem Zimmer - selbst wenn es in einem Hotel ist - unschlagbare Vorteile hat; zumindest, wenn es draußen regnet. Aber diese drei Stunden an diesem Strand waren, wie auch die meisten Nächte in diesem Urlaub, durch nichts zu ersetzen: 
Die Freiheit fühlen und riechen und den Duft des Meeres auf der Zunge schmecken; kleine Sandbuckel unter dem Schlafsack spüren und sie mit Körperbewegungen zu einer kuscheligen Kuhle formen; etwas Tau in den Haaren aufnehmen und auf der Nasenspitze spüren; das Rauschen der Wellen hören und gleichzeitig als Reflexionen am und im Körper wahrnehmen; während des einschlafmüden Blickes die Pracht des Sternenhimmels in die Seele brennen: Natur pur erleben!
Ein eigentlich unbeschreiblicher Traum, den ich in diesem Urlaub noch intensiver erleben durfte als an den vielen Wochenenden an den heimischen Baggerseen. 
So etwas nenne ich Freiheitstraum, Leben mit und in der Natur, oder einfach nur: Leben an sich!
Am späten Vormittag erzählten wir unseren Kumpels von der Grotte mit den vielen Getränken, und die Kumpels trommelten sofort noch andere Hotelbewohner zusammen. So zogen Wolfgang und ich eine Rotte von gut 12 Leuten hinter uns her und überraschten damit das nette Mädchen, das heute von ihrem Vater begleitet wurde. Die Hotelmenschen probierten und kauften wie die Wilden; als Dank dafür bekamen wir beide noch je eine Flasche Wein, und zusätzlich füllten wir unseren Vorrat auch noch mehr auf: nochmals je vier Flaschen kauften wir ein...
Nach einer Weile zog die Gesellschaft ziemlich erheitert in Richtung Hotel ab, und wir uns nach Abschied von unseren Hotelknaben in Richtung Frankreich.

Dienstag, 15.8.72 - Tag 13

Die Strecke dieses Tages

Bis zur Grenze nach Frankreich versuchten wir, so nahe wie möglich an der Küste zu bleiben, hielten oft an und genossen die Ausblicke von den Küstenstreifen hinunter auf das Meer:

Huf oberhalb der Klippen... 

    

      ...Wolfgang in den Klippen!

Am Abend ließen wir uns an dem breiten Kiesufer eines schmalen Flüssleins zur Nacht nieder; hier entdeckte ich zum ersten Mal, dass meine kleine Kamera einen Selbstauslöser hatte! Wolfgang positionierte die Knipse auf dem Gepäck des offenen Kofferraumes, schaffte es aber nicht mehr rechtzeitig, vor dem Auslösen noch eine fotogene Schlafstellung einzunehmen:

Einige Zeit später wurde es so empfindlich kühl, dass unsere Schlafsäcke anfingen zu zittern!
Wir beschlossen deshalb spontan und in völliger Einigkeit, uns in den Käfer zurückzuziehen, den Motor eine Weile laufen zu lassen und damit auch die Heizung.
Aber, aber... Ja, gleich zwei Abers!
Zuerst wurden wir beim Öffnen der Türen von einem Schwall Alkoholgeruch fast umgehauen! In der Dunkelheit konnten wir kaum etwas erkennen, aber erfühlen: hinten drin war es recht feucht... O nein! Oder doch?
Ja, doch!! Mindestens zwei Flaschen Wein waren ausgelaufen! Wir hatten unsere Beute einfach nicht richtig genug stoßfest gelagert...
Im Feuerzeugschein konnten wir einen der Übeltäter finden: Meinen ach so geliebten, teuersten Wein, den ich mit meiner Freundin zum Wiedersehen an einem kuscheligen Ort zu Hause öffnen wollte! Ein fast schwarzer Malaga war es, weich wie Likör und von einem Geschmack, der Träume wahr werden lassen konnte! So einen edlen Trunk genießt man in winzigen Gläschen, jedes Wochenende zwei Stück zu zweit - jetzt hatte er sich in unseren Klamotten versteckt, die wild durcheinander lagen im hinteren "Raum", den ich schon lange vor dem Urlaub durch das Herausnehmen der Rückenlehne immens erweitert hatte: "Kuschelzone" nannten meine Freundin und ich diesen Teil...

   Der Rest des edlen Malaga! Das konnte ich nicht nach Hause bringen, also: weg damit auf die Zunge und mit Wehmut an künftige schöne Zeiten gedacht...

So, das war also das erste Aber! Jetzt folgt das zweite:

Der Motor lief, aber es wurde nicht warm, obwohl die Heizungsklappen (mittels Seilzügen) weit geöffnet waren.
Siedendheiß - oder in diesem Fall eher eiskalt - fiel mir ein, dass ich ja die Heizungsschläuche schon Anfang des Sommers von den Zuführungsschächten trennen musste, weil die Heizung nicht abzuschalten war! Sowas kann nämlich echt lästig sein: draußen knapp 30 Grad, und drinnen noch 20 mehr, weil dir die Heizung einen bläst ohne Ende... Im Fußbereich, wo die Heizluft ausströmt, hast du dann das Gefühl einer Saharawanderung, also um die 50 Grad im Schatten.
Wolfgang begleitete mich mit einem Feuerzeug  unter das Auto; ich fand die abgeklemmten Schläuche, die ich vorsorglich gut befestigt hatte, damit ich sie nicht verlieren würde - und konnte einen davon  nicht lösen! 
Ich riss wie wild an dem rechten Schlauch, und er gab nach! Mit dem Erfolg, dass ich ein Loch hineinriss... Egal.
Auf der linken Seite hatte ich völligen Erfolg: Offenbar hatte ich hier schlampig gearbeitet, denn der Schlauch ließ sich problemlos abnehmen und wieder in die Zuführung stöpseln.
Wieder im Auto drin tat ich so, als würden wir permanent 80 km/h auf einer gemütlichen Straße fahren, und es ergab sich eine Wirkung: Auf meiner linken Seite wurde es mollig warm; auf Wolfgangs Gastfahrerseite eher weniger, da der beschädigte Schlauch seine Warmluft an das Kiesbett abgab, was erstens dem Kiesbett wohl völlig egal war, und zweitens für uns Insassen ebenfalls absolut sinnlos war.
Aber immerhin wurde es wärmer hier drinnen!
Nach gut fünfzehn Minuten der gedachten Raserei auf der gedachten Landstraße stellte ich den Motor ab;  wir schlüpften in unsere Säcke und versuchten, es uns auf den Vordersitzen so bequem wie möglich zu machen: die "Kuschelzone" war ja zwischen den Klamotten angefüllt mit diversen Getränken, und außerdem ziemlich feucht - und stank in der warm gewordenen Luft doppelt so stark! Dummerweise waren aber auch unsere Schlafsäcke leicht angetränkt...

Mittwoch, 16.8.72 - Tag 14

Die Strecke des 14. Tages 
An diesem Morgen war nach einem persönlichen Bad in dem Flüsschen ein Bad der Utensilien im Hinterteil des Käfers angesagt:
Alles raus! Wäsche, Schlafsäcke, einfach alles warfen wir ins Wasser und spülten die Weinreste gründlich aus dem ganzen Zeug heraus. Glücklicherweise hatte die Sitzbank von alldem nichts mitbekommen, sie war unbefleckt geblieben. Während dieser Aktion dudelte das Radio den Sommerhit "Popcorn"! (Song anhören)
Nun war es aber ein Problem, dass wir mit dem ganzen nassen Zeug nicht weiterfahren konnten, es würde doch glatt anfangen zu schimmeln - was nicht unbedingt angenehmer wäre als die Stinkerei nach Weinen der besten und mundigsten Sorten, die unsere Freunde in der Heimat leider nicht kennenlernen würden: verflossen im Stoff unserer Ausrüstung, ausgewaschen in einem flachbrüstigen Flussbett...  Kein rühmliches Ende für einige der herrlichen Weine aus Malgrat de Mar!

 Säuberungsaktion an einem winzigen spanischen Rio

Von Scherben und Gestank befreit hingen und legten wir unseren Hausrat in die Sonne, die uns an diesem Tag glücklicherweise wieder wohlgesonnen war. Wir beide genossen ebenfalls diese wärmenden Strahlen, aber es drängte uns trotzdem irgendwann: Unruhe kam auf, weil wir erstens in dieser öden Umgebung nichts Interessantes entdecken konnten, und weil wir ja auch nicht unbegrenzt Urlaub hatten; zu Hause wartete der Azubi-Job!
Noch halbfeucht - nicht wir, sondern unsere Ausrüstung - packten wir zusammen und machten uns auf den weiteren Weg ins nächste Land, nach Frankreich, das wir schon nach knapp einer viertel Stunde erreichten.
Den französischen Zoll überstanden wir wahrscheinlich nur, weil es in unserer "Hütte" immer noch unangenehm muffelte: Die Untersuchungen im hinteren Raum des Käfers, zwischen unseren immer noch feuchten Sachen, waren nicht wirklich Ziel des Zollbeamten; er hatte offensichtlich Scheu, dort herumzuwühlen und fand deshalb nicht die versteckten, übrig gebliebenen 14 Liter Wein aus Malgrat. 
Aber die Langhaarigen in diesem vergammelten VW-Käfer könnten doch vielleicht aus noch südlicheren Gegenden als Spanien kommen?
Im Handschuhfach suchte er, sogar im Aschenbecher und unter den Radkappen und den Innenseiten der Stoßstangen; aber er konnte kein Haschisch finden, nach dem er offensichtlich - freudig angespannt? - suchte.
Etwas enttäuscht und irgendwie argwöhnisch ließ er uns endlich durch, nach Frankreich.
Etwa 30 km vor Marseille übernachteten  wir am Rande eines kleinen Flugplatzes mit daneben liegendem Lavendelfeld.

Donnerstag, 17.8.72 - Tag 15

Ein Bummel durch den Hafen von Marseille, den ich nur mit Schwierigkeiten fand, offenbarte sich uns erstmals im Leben die beeindruckende Größe echter Seeschiffe, vor allem Frachter, auch aus Übersee! In Valencia gab es zwar auch einen recht großen Hafen, aber wir sind nie dicht an solche Schiffe herangekommen. Schwerstens staunend liefen wir durch die Hafenanlagen, die für uns ein einziges Chaos darstellten. Der Mangel an Bildern erklärt sich damit, dass ich Depp die Knipse nicht mit einem neuen Diafilm aufgeladen hatte, und in den Hafenanlagen fand ich seltsamerweise keinen Filmverkaufsladen... Dafür fanden wir aber noch einen kleineren, hübschen Yachthafen.

              

Unser Auto wieder zu finden, war allerdings eine riesige Glückssache: Wir waren ja fast verrückt geworden wegen der uns umgebenden Größe, und keiner hatte daran gedacht, sich den Straßennamen zu merken, wo wir unser Käferchen außerhalb des Hafengeländes geparkt hatten! Gut eine Dreiviertelstunde stiefelten wir herum, mit flauem Gefühl in den Mägen... Dann fanden wir den hellblauen Schatz endlich.
Marseille selbst erwies sich als viel zu groß, um dort auch noch herumzustöbern. Allerdings entdeckten wir ziemlich mühelos einen tollen Schlafplatz kurz hinter dieser Riesenstadt, wo es am Ufer einigermaßen ruhig war. Nach dem Auffüllen unserer Vorräte in recht teuren Lebensmittelgeschäften verbrachten wir dort einen gemütlichen Abend, wieder einmal im Freien: Ich dachte in dieser Nacht, dass es mir schwerfallen würde, wieder innerhalb von Mauern schlafen zu müssen, ohne Sternenhimmel über und Sand unter mir!

Freitag, 18.8.72 - Tag 16

Die Strecke des heutigen Tages

Ganz gemütlich sind wir bis kurz vor Toulon gegondelt, haben immer wieder lange Pausen eingelegt, um die herrliche Küstenlandschaft zu genießen - und natürlich, um unseren Benzinkocher anzuwerfen...

    

Der Wind war gegen Abend dermaßen heftig geworden, dass wir Schutz an einem Hügel suchen mussten, damit unsere Schlafsäcke nicht aufgeblasen wurden!

Samstag, 19.8.72 - Tag 17

Hinter San Raphael, ein Stück hinter Toulon, haben wir am Nachmittag einen fast luxuriösen Zeltplatz gefunden und schon zum zweiten Mal in diesem Urlaub unser Zelt aufgebaut! Jetzt war auch wieder Relaxen angesagt, also Urlaub vom Urlaub: Badespaß im Meer, Wanderungen in der felsigen Gegend, wieder Baden. Dann die Pflicht: Wäsche waschen. Danach wieder Spaß beim Baden und abends ein riesig dickes Omelett gebacken mit frischen Tomaten und Pilzen drinne, dass die Alupfanne fast überlief!

 

Sonntag, 20.8.72 - Tag 18

Rückfahrt in Richtung Toulon, weil Wolfgang seine Freundin auf einer kleinen, vorgelagerten Insel besuchen wollte; leider konnte er den Knatsch, den die beiden vor ihrem getrennten Urlaub hatten, nicht beilegen; ganz im Gegenteil!
So übernachtete ich mit einem ziemlich geschlagenen Wolfgang und geschätzten 1000 Schnaken auf dieser Halbinsel, was mich fast den Verstand kostete: Ich hatte ja seit einem kleinen Abenteuer an einem heimischen Baggersee eine panische Angst vor diesen Blutsaugern entwickelt! (Diese Geschichte kann man an anderer Stelle nachlesen: Waldsee 1970).

Montag, 21.8.72 - Tag 19

Kein Tagebucheintrag, kaum Erinnerung.... Nur, dass wir noch einmal dort übernachtet hatten, aber an einer Stelle ohne Schnaken.

Ach ja: anhand eines Bildes fällt mir wieder etwas ein:
Wolfgang war mal wieder am Fahren und versuchte, rückwärts an einer Hecke den Käfer abzustellen, so dass wir noch genügend Platz daneben für unsere Schlafsäcke hatten. Er hatte dabei die Hecke so gut getroffen, dass sie sich in das schon etwas angeschlagene rechte Trittbrett verbiss und dieses aus der angerosteten Halterung am hinteren Kotflügel riss! In Triumphpose setzte er sich daneben:

Da das Teil noch einigermaßen dran hing, beließen wir es dabei. Bei unebenen Fahrbahnunterlagen allerdings hüpfte und klopfte das Trittbrett ziemlich nervig...

Dienstag, 22.8.72 - Tag 20

Die Strecke

Frühe Abfahrt über Marseille, Avignon nach Valence. Dort am Ufer der Rhone geschlafen. Kalt wars. Sonst kein Tagebucheintrag, deshalb auch keine Erinnerung. Nur, dass das Trittbrett sich immer weiter absenkte und vom Asphalt am hinteren Ende recht glatt abgeschliffen wurde...

Mittwoch, 23.8.72 - Tag 21

Die Strecke dieses Tages
Bei schlechtem Wetter machten wir uns auf über Lyon bis kurz vor die schweizer Grenze und gönnten uns dort ein saftiges Steak mit Beilagen für recht wenig Geld: saugut war das! Danach wurde sogar das Wetter besser...
An der Grenze wurden wir von einem Zollbeamten abgewiesen: "SO kommen Sie nicht in unser schönes Land!!!" und zeigte dabei auf das traurig herabhängende Trittbrett. Also machten wir kehrt und versuchten an einer abgelegen Stelle nahe eines kleinen Wäldchens, uns von dem Teil zu trennen; geliebt von uns, gehasst vom Zöllner.
Leider bekamen wir das Trittbrett vom vorderen Kotflügel nicht ab, denn ohne Roststellen war einem damaligen Käfer nicht einmal durch viele heftige Sprünge auf das Trittbrett ein Schaden zuzufügen! Das war noch Qualität! Die Mutter hinter dem Kotflügel bekamen wir auch nicht auf, da hatte der Rost zugeschlagen und die Mutter mit dem Gewinde regelrecht verschweisst.
Wir rissen, zogen, drehten, sprangen - alles ohne Erfolg; das Trittbrett wollte offensichtlich nicht allein gelassen werden!
Wir wollten schon aufgeben und eine Werkstatt suchen, als wir noch einen letzten Versuch wagten: auf  Kommando sprangen wir zu zweit mit aller Macht drauf, und endlich resignierte der Kotflügel der rohen Gewalt: unter der Verschraubung gab er einen Riss frei, und somit das Trittbrett ebenfalls!
Verschämt und unserer Sünde durchaus bewusst versteckten wir das Ding tief im Gebüsch mit dem Versprechen, nächstes Jahr mit einer Säge wieder zu kommen, um es dann auf einem Schrottplatz umweltgerecht zu entsorgen; zum Mitnehmen war das Teil einfach viel zu lang! Solchermaßen gewissensberuhigt steuerten wir wieder auf die Grenze zu, jetzt aber mit einem anderen schlechten Gewissen wegen der Schmuggelware im Heck...
Der gleiche Zöllner wie zuvor begrüßte uns nicht gerade freundlich; aber als er auf die Seite sah und das wacklige Trittbrett nicht mehr vorfand, erhellten sich seine grimmigen Gesichtszüge merklich: so, als sei er stolz, uns eine Lektion erteilt zu haben! Nach unserem Aussteigen guckte er hinten rein und wühlte kurz in dem Müllhaufen aus unseren Urlaubssachen; aber als er spürte, dass es dort irgendwie feucht war, hatte er wohl keine Lust mehr! Ja, es ist wirklich traurig, dass flussgewaschene Sachen in einem Auto einfach so schlecht trocknen... Aber zum Glück auch nicht mehr nach Alkohol stinken.
So konnten wir also unbehelligt mit unseren übrig gebliebenen 13 l Wein den Weg durch die schöne Schweiz antreten.
Immer wieder lüftete einer von uns während der Fahrt und  bei offenen Fenstern und zurückgezogenem Schiebedach unseren Waschberg, und so konnten wir am Ende des Genfer Sees zwischen Evian und Montreux in trockenen Tüchern im Auto übernachten; im Freien hatten wir ausnahmsweise kein gemütliches Plätzchen entdeckt.
Ach ja: wer sich schwer vorstellen kann, dass man zu zweit in einem Käfer gemütlich nächtigen kann, dem sei Folgendes erklärt:
Die Lehne der Rückbank fehlte ja, wie schon irgendwann zu Beginn erwähnt. Wenn man dann die Vordersitze ganz nach Vorne schiebt und die Lehnen nach Vorne klappt, dann die Bodenlücken zwischen Vorder- und Rücksitzen mit möglichst weichem Zeug füllt (z.B. einem fast luftleeren Gummiboot, falls gerade nichts anderes da ist), ergibt sich eine komfortable Schlafstätte, wobei die Rückenlehnen der Vordersitze als Kopfstützen dienen!
 
Selbstporträt mit Mundharmonika bei Wolfgang, leider etwas zu hoch gezielt;
vielleicht, weil ich die Brille schon nicht mehr aufhatte?

Donnerstag, 24.8.72 - Tag 22

Die Strecke
Montreux - Lausanne - Bern, wo wir gegen 15 Uhr eintrafen. Zwischendurch hatten wir an einem Bauernhof Rast gemacht, wo wir von einem ganz lieben Hund freudig begrüßt wurden:

  
An meinem linken Handgelenk erkennt man schwach ein Lederband, das ich von einem Klassenkameraden 1966 geschenkt bekam und das ich seitdem  - und auch noch viel später - bei jedem kleinen und großen Abenteuer trug. Es ist eines der wenigen Erinnerungsstücke, die aus meiner Jugendzeit übrig geblieben sind; hier ein Bild aus dem Jahr 2011:


Im Jahr 2017 hielt der hier schon mit Heftklammern dilettantisch geflickte Verschluss nicht mehr: ich bastelte was Neues und kann das Band somit immer noch tragen!

In Bern staunten wir über die Mobilität mancher Polizisten und stellten fest, dass das in einer so verkehrsreichen Stadt eine absolut starke Idee ist, um bei Patrouillen nicht in irgendeinem Stau stecken zu bleiben; herzlich lachen mussten wir aber trotzdem...


Danach ging es schnurstracks nach Zürich, wo wir geschlemmt haben wie die Weltmeister, um (fast) unsere restlichen Franken loszuwerden:
Zuerst wollte man uns nicht reinlassen in das Speiselokal der unteren Oberklasse, das wir uns ausgesucht hatten, um unseren Urlaub mit einem kulinarischen Höhepunkt abzuschließen: Nachdem wir aber unsere Schlapphüte und die Ami-Jacken im Auto verstaut hatten, rümpfte zwar der Tür-Ober immer noch etwas die Nase wegen unseren zerknitterten T-Shirts und den langen Haaren um die unrasierten Gesichter, ließ uns aber dennoch eintreten; vielleicht erwartete er eine Sensation, wenn die Gammler anschließend in den Knast abgeführt wurden?
Freunde, ich schwöre euch: In diesem recht noblen Laden wurden wir an einen Tisch direkt am riesigen Fenster geführt, das uns Ausblick auf den See gewährte. Die Blicke der meist recht vornehm gekleideten Leute durchbohrten uns fast, und wir gaben den Anschein, inkognito hier zu sein, um uns im gewöhnlichen Volk zu amüsieren... Ganz gelungen war uns das wohl nicht, aber  die Speisekarte wurde uns dennoch mit ausgesuchter Höflichkeit vorgelegt.
Wir bestellten einen recht teuren Wein, (wozu eigentlich? Wir hatten ja genügend im Käfer!), und ernteten dafür schon skeptische Blicke des Tisch-Obers: 'Sehen die so aus, als ob sie das bezahlen wollen?'
Der exzellente Wein - tuchummantelt, natürlich - wurde zur Geschmacksprobe eingeschenkt und das Etikett der Flasche dabei deutlich gezeigt. Nach unserem gönnerhaftem Nicken wurden die beiden Gläser gefüllt. Allein das war die ganze Reise wert: Halbzerlumpte Abenteurer, die seit drei Wochen fast ausschließlich im Freien übernachtet und aus Blechnäpfen gegessen hatten, wurden wie angesehene Gäste bedient!
Nach dem georderten Essen, das so exzellent war wie der Wein, winkten wir zaghaft dem Ober. Der kam, um seine Rechnung darzulegen, aber wir enttäuschten ihn: eine Runde Schaumkaffee sollte es noch sein!
Während des Kaffees, mehreren Zigaretten und Toilettengängen, heckten wir einen teuflischen Plan aus: Denen wollen wir es zeigen, den vornehmen Pinkeln, die uns nur aus irgendwelchen unverständlichen Emotionen heraus hier gewähren ließen! 
Ich winkte dem Ober, diesmal etwas forscher; der kam auch gleich mit seinem Rechnungsblock. Ich winkte aber wieder ab und meinte, dass es sehr freundlich wäre, wenn er die gleichen Gerichte noch einmal bringen würde: Was mein geschätzer Freund vorher hatte, möchte ich jetzt, und umgekehrt! Dieses Gesicht hätte ich fotografieren müssen...
Aus den umliegenden Tischen kam leises Gelächter, und nachdem der Ober seine Verblüffung überwunden hatte, musste er ebenfalls grinsen!
Diese Schlemmerorgie kostete uns zusammen knapp 50 Franken, also etwa rund 55 DM - eine ganz immense Summe zu dieser Zeit! Die heutigen umgerechnet etwa 30 Euro muten dagegen eher schlapp an; für ein derartiges Gelage in einem guten Restaurant müssten sicherlich mehr als 100 Euro hingeblättert werden: Vier herrliche Gerichte plus Kaffee und vorzüglichem Wein!Mit dem Serviertuch über dem angewinkelten Arm und leicht geneigtem Kopf wurde uns sogar die Tür nach draußen aufgehalten... Wir dankten mit ebenfalls leicht geneigten Köpfen. Herrlich, was uns Gammelbrüdern da wiederfuhr!
Satt bis zur Oberkante schleppten wir uns in den Käfer und gondelten weiter bis zum Rheinfall, in dessen Nähe wir im Auto übernachteten.

Freitag, 25.8.72 - Tag 23

Letzter Tagebucheintrag:  Rheinfall besichtigt; um 7 Uhr 20 in Richtung Freiburg abgefahren.
Mehr weiß ich nicht mehr, nur dass wir abends zu Hause ankamen. Gesamtstrecke: 4.788 km.

       

Eine kleine Anekdote gibt es noch:

Beim Auspacken des Autos zu Hause krabbelten da eine Menge Ameisen herum, die sich offenbar während unserer "Strandung" aus dem Sand über das Trittbrett ins Auto geschmuggelt hatten! Den "Alkoholunfall", die Säuberung und die lange Reise hatten sie sichtbar gut überstanden, und so schnippste ich sie - sofern sie nicht willig waren - in einen mit Laub gefüllten kleinen Eimer und ließ sie am Waldrand, an dem wir wohnten, wieder springen. Was die wohl nach dieser enormen Umsiedlung empfunden haben nögen?

Samstag, 26.8.72

Abends gab es eine große Wiedersehensparty in unserer Clique, wobei wir vier Abenteuerer und die beiden Hotelknaben Pit und Mike ihre Storys zum besten geben mussten!
Dabei stellte sich heraus, dass die beiden letztgenannten sich keine 400 Meter vom Hotel fortbewegt hatten (also gerade mal bis zu dem kleinen "Probierladen" und zweimal an den Strand! Werner und Nabs waren nur mit den notwendigsten Pausen bis nach Alicante (weiter hinter unserem Zielpunkt Valencia) durchgerast und hatten den kompletten Urlaub auf einem Zeltplatz am Meer verbracht, ohne sich allzuweit davon zu entfernen; bis an den Strand halt...
So verschieden sind die Ansichten eines Urlaubs!

Werner, Huf, Daheimgebliebener, Wolfgang    

  Angeschnitten: Pit; Huf busselt Freundin; rechts Wolfgang

Nachsatz:

Am Montagmorgen, als ich zu meiner Lehrstelle fahren wollte, muckte der Käfer nur ganz kurz und wollte dann nicht mehr: Getriebe kaputt! Junge, Junge, wenn das 2.000 Kilometer vorher passiert wäre...

Lago Maggiore - Eine Tour vom 21. bis 24. Mai 1994

Übersichtkarte

Ganz grob, wo es hinging:

Zielort Luino

Teilnehmer:
Zwei Motorräder (Yamaha XS 900 und Kawasaki Z 650), zwei Fahrer (Diddi und Hufi), zwei Sozias (Iris und Ulrike)


Entgegen meiner sonstigen Gewohnheiten, Tagebuch zu führen, gibt es bei dieser Tour gar keine Aufzeichnungen!
Ich weiß nur noch, dass wir über den San Bernardino-Pass gefahren sind und dies eine der schönsten Motorrad-Rennstrecken war:
Die Autos quälten sich mit unendlicher Langsamkeit diese herrlich gewundene Strecke hinauf, und wir düsten wie durch einen überirdischen Traum mit einem Affenzahn auf der Überholspur an diesen Autoschlangen vorbei, wohl oft beneidet...
Auch weiß ich noch, dass wir nach dem Pass in schlechtes Wetter geraten waren und dieses uns kaum noch verlassen wollte; inklusive der kompletten Rückfahrt! Aber das war ja fast normal, wenn der Schlechtwetter-Donnerhuf mitfuhr...

Ankunft in Luino...

... wo wir nach kurzer Suche ein kleines Sandsteinhotel im Jugenstil direkt am Ufer des Sees gefunden hatten. Halb erfroren bezogen wir unsere Zimmer und zogen es vor, am heutigen Abend keine großen Ausflüge mehr zu machen: Auftauen und gut essen hatten Priorität!

    

Am nächsten Morgen begrüßte uns der See mit einer solchen Herz erwärmenden Freundlichkeit, dass wir das spontan als Einladung betrachteten, den Lago auf seiner Oberfläche zu erkunden!

        


Flugs buchten wir an der in der Nähe gelegenen Stelle Tickets nach Locarno: von unserem in etwa der Mitte des Ufers gelegenen Domizil hinauf nach Norden, ans Ende des Lago Maggiore.

Die langsame Fahrt gestaltete sich recht gemütlich, und die Aussicht auf die umliegenden Ufer kann nur mit einem Wort beschrieben werden: Donnerwetter!

    

    

In der Warteschlange zur Rückfahrt gab es eine kleine Sensation: Ein Spatz flog piepsend an der Reihe entlang, offenbar nach Futter Ausschau haltend. Iris hielt ihre Hand hin, mit ein paar übrig gebliebenen Krümeln eines Kuchenstückchens, und der Spatz langte freudig zu! Jedoch versorgte er sich nicht selbst, sondern seine Nestlinge, die nicht weit entfernt warteten.
Ich hatte das dann auch versucht mit einigen abgebrochenen Krümeln meines Hanutas, (damals immer als Notration dabei), aber meine Opfergabe wurde verschmäht...
Nach dem zweiten Anflug an die Hand von Iris, die wohl wegen der roten Fingernägel wie ein Leuchtsignal in der Menschenreihe für das Spätzchen war, gab es allerdings nichts mehr: Krümel aus! 
Herzerweichend die weiteren Versuche des Vögelchens, doch noch etwas zu ergattern: Es hüpfte an der inwischen dem Kassenhäuschen näher vorgerückten Menschenreihe auf dem Boden entlang und entdeckte schließlich die zuvor so spendable Frau mit den roten Nägeln! Piepsend saß das Federknäuel auf dem Boden vor Iris und bettelte nach weiteren Krümelchen... Szenen wie aus einem Schluchzfilm! Selbst die anderen Menschen um uns herum machten ganz ergriffene Gesichter... Auch dann noch, als Spätzlein es aufgeben hatte und davon flog.

    

Rückfahrt nach Luino mit einem Tragflügelboot: Ein tolles Erlebnis, und rasend schnell!

Die Anlegestelle vom Hotelzimmer aus

Nach einem Flohmarkt-Bummel bei einem Ausflug in die Umgebung; diesmal gar bei gemäßigtem Wetter!

    

Und wieder kein Regen bei einem Besuch der Museumsburg "Rocca Borromeo" in Angera!

    

Einige Ansichtskarten, die beweisen, dass das Wetter am Lago Maggiore und in der Umgebung auch richtig nett sein kann:

    

Foto-Shootings auf dem Parkplatz des Hotelchens

    

Zu einer spontanen Abendfete bei Iris und Diddi steuert Hufi Leckereien wie Hanuta, Tomate, Banane und Bockwurst bei, Ulrike findet irgendwo Plätzchen und Schokoriegel, vergraben in meinem Tankrucksack... Iris und Diddi hatten Orangen, Äpfel und mitteltrockene Kekse auf Lager, dazu noch einige Scheiben Salami:
Das war eine echte Sause! Mit viel Geblödel, was zu unserer Natur gehörte...

    

Abfahrbereit nach Hause!

Pausen auf dem Rückweg:

Niemals durch einen Tunnel, wenn es einen Weg über einen Pass gibt! Wo bliebe denn das Erlebnis? Auch, wenn das Wetter noch so bescheuert ist!

    

Auf der Heimreise noch kurz mal am Rheinfall bei Schaffhausen vorbei geschaut...

    

Danach ging es bei gräulichstem Wetter mit einem Eiltempo in Richtung Mannheim, was man eigentlich nur als Kamikazefahrt bezeichnen kann:
Regen und Kälte ohne Ende! Wir wollten nur noch Hause, sonst nix!
Wir rasten auf der Autobahn in die Dunkelheit hinein und bei strömenden Regen nur auf der äußerst linken Fahrspur, den Gashahn bis zum Anschlag geöffnet! Mein Mopped schaffte dabei 190 km/h, das von Diddi 210... Völlig unverantwortlich! Auch unverantwortlich, dass der schnellere Diddi in dieser jetzt stockdunklen Nacht davon zog: Ein Fahrteam hat immer ein Team zu bleiben, auch wenn das Zuhause nur noch rund 150 Kilometer entfernt liegt!
Ulrike war ungeheur tapfer; sie sagte kein Wort, als ich nochmal an einer Autobahnraststätte tanken musste, sondern klopfte mir nur aufmunternd auf die Schultern...
Eigentlich unfassbar, dass wir alle diese irrsinnige Raserei überstanden hatten!
Stellt Euch vor, wieviel Ihr sehen könnt, wenn Ihr nachts auf der Autobahn mit etwa 120 km/h im Auto unterwegs seid, und die Scheibenwischer kaum die Regenfluten bändigen können! Okay; dann schaltet die Wischer einfach mal aus.
Und ich raste mit vollbepackter Kawa und müder Sozia mit 190 auf den sonst nicht benutzten Überholspuren, ohne Scheibenwischer am Helmvisier und ungeachtet möglichen Aquaplanings! 
Diese wahnsinnige, saudumme Fahrt haben wir aber gesund überstanden, wie Ihr seht.
Wie sonst könnte ich diesen kleinen Erlebnisbericht schreiben,  18 Jahre danach?

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Kein Besucher wird mehrmals gezählt!

Lago Maggiore - Eine Tour vom 2. Juni bis 6. Juni 1995


Zwei Motorräder (Yamaha XS 900 und Kawasaki Z 650), zwei Fahrer (Diddi und Hufi), eine Sozia (Iris).

Die Hinfahrt machte ich allerdings alleine! Diddi und Iris kamen einen Tag später an.

Im Gegensatz zur letztjährigen Tourbeschreibung an den Lago Maggiore hatte ich hier wieder meine alte Gewohnheit des Tagebuchschreibens praktiziert, weshalb diese Tour wesentlich umfangreicher ausgefallen ist: erstens einen Tag länger als letztes Jahr, und zweitens länger, was die Beschreibung betrifft! Ich hoffe, das stört euch nicht...

Abfahrt aus Ludwigshafen am Rhein (dieses Jahr ohne Sozia): 2. Juni 1995, 6 Uhr 20
Ankunft in Luino am Lago Maggiore: am selben Tag, 18 Uhr 20
Gefahrene Kilometer bis zum Ziel: 594 in zwölf Stunden
Gefahrene Strecke: Ludwigshafen - Landau - Karlsruhe - Baden-Baden - Offenbach - Freiburg - und so fort, wie ihr gleich lesen könnt...

Übersichtkarte

Ganz grob, wo es hinging:

Freitag, 2. Juni

In Karlsruhe bekam ich echten Stress: Staus ohne Ende, mehr als Schritttempo war weit über eine Stunde lang nicht drin!
Das kostet Kraft in der Kupplungshand, im Nervenkostüm und im Motor, der ständig wegen Überhitzung ausging...
Mir selbst passierte das auch; deswegen musste ich immer wieder eine Abhitzungspause einlegen und der Maschine und mir kleine Ruhepausen gönnen. Ich nutzte sie jeweils für ein Hanuta, eine Zigarette danach, und vielen Schlucken Wasser; mein Mopped war jedesmal selig dabei, wie das Knacken und Knistern des abkühlenden Motors bewies.
Erster Tankstopp dann in Baden-Baden: 8,9 Liter für 13,80 DM = umgerechnet rund 77 Eurocent pro Liter... Das waren noch Zeiten!
Nächster Stopp in Rheinfelden, noch auf der deutschen Seite, um etwa 11 Uhr: Proviant für mich gekauft und Moppedle vollgetankt: hier schon 79 Eurocent (umgerechnet)!
Ich hatte echt die Nase voll, weil ich so viel Zeit wegen der Bummelei liegen lassen musste; fast fünf doofe und überaus langweilige Stunden hatte ich bis an die Grenze gebraucht! Und vor mir liegt noch die gesamte Schweiz und ein Stück Italia...
Auf der Schweizer Seite von Rheinfelden wurde ich genötigt, mir eine Vignette an die Vorderradgabel kleben zu lassen: verschandelte mein schönes Mopped und kostete dazu noch 50 DMäuse (= 25 Euronen); nur so bekam ich freie Fahrt durch die  in jeder Beziehung neutrale und  kleine Schweiz!
Über die Autostrada düste ich über Aarburg am Sempacher See und am Vierwaldstädter See vorbei: eine traumhafte Gegend! Dabei fiel mir ein: noch kein Tropfen Regen bisher! Bin ich tatsächlich im richtigen Film?
Irgendwann lief ich auf einer Bundesstraße, die ich jetzt gewählt hatte, auf zwei Moppedfahrer aus HX auf; wir gondelten und düsten in höchst erfreulicher Moppedfahrermanier zusammen durch die Gegend: abwechselnd die Führung übernehmen, dann wieder entspannt an der hinteren Front die Aussicht genießen; so was macht ungeheuren Spaß! Und natürlich die oberste Motorradfahrerregel beachten: Beim Überholen von PKWs des Führenden anschließend die nachfolgenden Moppeds durch geschicktes Taktieren vor dem überholten Auto den anderen die Möglichkeit geben, ebenfalls an diesem Hindernis vorbeizukommen; somit wird wunderbar eingefädelt und möglicherweise sogar der letzte der Kolonnenfahrer plötzlich zum Führer - DAS ist blindes Verstehen einer Fahrergruppe, selbst wenn man sich gar nicht kennt! Einfach nur herrlich, diese verständnisvolle Gemeinschaft unter fremden Helmen...
An der Gotthardt-Raststelle bin ich als derzeit Führender eingebogen, und die zwei tollen Fahrtkameraden hinterher.
Welch eine Freude, als wir unsere Helme abzogen und uns gegenseitig für diese tolle, viele viele Kilometer lange, gemeinsame Strecke beglückwünschten! Und die Überraschung schlechthin war, dass die beiden ein Paar waren; die noch recht junge Frau schmiegte sich in voller Freude über die Fahrt an ihren Partner! 
Fast noch ergreifender war das Lob, das ich von den beiden erntete: 'Ein wunderschönes Moped hast du! Und die gemeinsame Tour war einfach nur saaagenhaft gut...'
Jetzt kam die Frage auf: durch den Tunnel oder rüber über den Gotthardt?
Hier der entscheidende Blick: 


Diese Aussicht auf ein unbekanntes Gebirge, in Schnee gehüllt, reizte natürlich meine abenteuerliche Seele: Ich musste drüber!
Die beiden wollten nach Korsika, meiner Trauminsel! So konnte ich ihnen noch einige Tipps geben, da ich ja erst vor drei Jahren dort war. Dann verabschiedeten wir uns mit den herzlichsten Wünschen.

Zwar war das Wetter recht trübe, aber die Straßen waren trocken, und es fuhr sich recht angenehmen zwischen den bis zu drei Meter hohen Schneewänden! Richtig Gas geben traute ich mich aber nicht: Die alte Dame schlingerte bei den leichtesten Bodenwellen, ja sogar dann, wenn ich nur mal auf den Mittelstreifen geriet! Zuvor lag sie doch wie ein Brett; irgendwas stimmte da nicht... Echtes Kurvenräubern war deshalb kaum drin. Zudem war die Straße eh nicht in bestem Zustand, jedenfalls auf dem Weg nach oben: ständig Ampeln an Baustellen, wo die Straße repariert wurde; und wo sie nicht gerade ausgebessert wurde, hatte sie es dringend nötig!
Oben: traumhaft! Erst als ich vor dem Gotthard-Schild in 2091 m Höhe eine Pause mache und den Helm abnehme, merke ich, wie eisig der leichte Wind ist: in meiner tollen Ausrüstung hatte ich das während der Fahrt kein bischen gemerkt!
Das Foto von mir hat der Fahrer einer Goldwing gemacht, der mit seiner Frau aus der anderen Richtung kam: 
Die Straße sei dort gut, lobte er, und ich warnte ihn vor dem Gegenteil in seiner geplanten Richtung...

     


 
Es war so gegen 14 Uhr 30, als ich mich wieder auf den Weg machte; der Goldwingfahrer hatte recht: die Straße abwärts war der echte Hammer! Diesen ließ ich auch ab und zu fallen, meine Gashand konnte ich bei diesen Kurven einfach nicht unter Kontrolle bringen... Obwohl die Maschine wackelte wie eine alte Goldwing!
Wing? Schwinge? Das könnte eine Eingebung gewesen sein!
Etwas später, weiter unten in nicht mehr so kalten Gefilden, überprüfte ich diese Eingebung: Und in der Tat ließ sich die sehr große Mutter der Schwingenachse mit meinem Bordwerkzeug ein erkleckliches Stückchen anziehen! Danach hatte ich wieder mein Kurvenräuberbrett unter dem Hintern: Juchuuu!!!

Dann stand ich wieder vor einer Entscheidung: zurück auf die Autostrada? Krämpfe in der Gashand riskieren, weil sie immer die gleiche Stellung halten muss? Erschlaffung des Kupplungsarmes, weil die Hand nix zu tun hat? Ermüdung der Sinne? Nein!
Auf der grandiosen Straße zu dem italienischen Bellinzona, die neben und unter und manchmal über der Höhe der Autobahn verlief, konnte ich mich wieder so richtig austoben; für Kurven jeglicher Art hatte ich ja schon immer ein Faible...
Und dabei auch noch, oft jauchzend, die herrliche Landschaft genießen: Sonne und kein Regen! Unfassbar. Nur für Fotos war einfach keine Zeit.
Aber es fiel mir mal wieder auf, welch gute Wahl ich bei meiner Ausrüstung getroffen hatte: Die umgerechnet rund 700 Euro für die Klamotten waren keine Verschwendung! (1.400 DM sind wahrlich kein Pappenstiel gewesen, fast die Hälfte des Kaufpreises fürs Mopped).  Ich war in verschiedenen Klimazonen unterwegs, und nie hatte ich gefroren oder geschwitzt; nur jetzt, in der hübsch warmen Gegend, zog ich das Vlies-Innenfutter der Jacke aus; drunter trug ich nur ein T-Shirt!
Die Straße entfernte sich bald von der Autobahn und wurde zahmer, und ich merkte, dass ich in Italien war:  Die Ortschaften und Häuser und Menschen auf den Straßen hatten sich verändert; ebenfalls der Fahrstil der Autofahrer, die ja bekanntlich keinen Respekt kennen! Einen davon bekam ich vor mein Mopped: Ein mittelgroßer Baustellen-LKW raste mit 100 km/h durch die Gegend, egal, ob Dorf oder Landstraße... Kilometerweit versuchte ich, an dem Kerl vorbei zu kommen, aber der machte sich einen Spaß daraus, weil er mich längst im Rückspiegel entdeckt hatte!
Die Straße war zu eng und zu kurvig; außerdem herrschte meist Überholverbot. Das wäre mir aber egal gewesen, denn schließlich war ich hier in Italia! Verbots- und Gebotsschilder sind hier rausgeschmissene Lire.
Bei einem vergeblichen Überholversuch lacht er mich doch glatt im Rückspiegel aus! Und biegt dann ab zu einer Baustelle... Saftsack.
Klar hätte ich eine Pause einlegen und ihn düsen lassen können! Aber schließlich haben Mopped und ich einen gewissen Ehrgeiz ...

Die Strecke nach Luino hatte ich gut gefunden und machte etwa 30 km vor dem Ziel noch eine Pause. Alles kam mir entfernt bekannt vor, außer der Sicht auf den entfernten Lago Maggiore; das lag wohl daran, dass im letzten Jahr diese Gegend von Regen und Kälte und einer gewissen Düsternis beherrscht wurde.
Ich checkte in dem ältlichen kleinen Hotel aus Sandstein um etwa 18 Uhr 30 ein und erhielt ein Zimmerchen genau über dem letztjährigen. Der grauhaarige Hotelbesitzer persönlich begrüßte mich und erinnerte sich sogar noch an mein Motorrad, und auch daran, dass wir letztes Jahr doch zwei Fahrer mit zwei Mädels waren! 
Das wiederum erinnerte mich daran, die telefonische Reservierung eines Doppelzimmers durch Dietmar bestätigen zu lassen: Es hieß, dass diese Reservierung heute morgen um 7 Uhr storniert wurde! Collasso! Schock! Was war passiert?
Verzweifelt versuchte ich, Diddi oder Iris zu erreichen: vergeblich! Und warum vergeblich?
Weil ich wieder einmal nicht bedacht hatte, dass man bei Anrufen aus dem Ausland die 0 bei der Ortskennzahl weglassen muss. Darauf musste mich aber erst der Rezeptionist stoßen, nachdem er meine Verzweiflung bemerkte und nachfragte, was denn los sei...
Gar nicht so einfach, 'telefonieren, nach Hause'!
Etwa einer Stunde nach den ersten Versuchen erreichte ich Dietmar, und er erklärt mir, dass das alles Käse ist und ich bitte ein Zimmer reservieren soll! Na also...
Jetzt konnte ich zufrieden meinen Geburtstag feiern!
Recht kaputt und mit schmerzendem Genick, aber dennoch äußerst zufrieden, notierte ich mir den Tag auf hoteleigenem Briefpapier und genoss dabei ein kleines Menü, das ich mir aufs Zimmer hochnahm. Begonnen hatte der Tag wie immer mit Aufstehen, was ja unvermeidlich ist; aber 5 Uhr ist schon eine etwas unheilige Zeit, wenn man Urlaub hat! Und jetzt, beim Schreiben der Tageserlebnisse, war es schon echt spät: Die Abendsonne schien wärmend in mein Zimmer, und ich musste dabei Aufnahmen machen.

Wie man unschwer an den Uhrzeiten erkennen kann, war meine Nacht nicht gerade erholsam: Viel zu erschöpft war ich und dazu viel zu aufgewühlt... Kein guter Mix, noch dazu mit den Schmerzen im Genick.

Samstag, 3. Juni

Die Lage von Luino: nach Norden und Süden gesehen; auf Postkarten natürlich.

    

Um kurz vor acht Uhr hab ich mich endlich aus dem Bett gequält und versuchte, mit einer langen Dusche und einem ebensolangen Frühstück an der Hotelbar wieder ein Stück Leben in Körper und Geist zu bringen; erstaunlicherweise hatte dies gut geklappt!
Vor dem Hotelchen, als ich  gegen 11 Uhr einen kleinen Ausflug mit dem Mopped unternehmen wollte, erlebte ich eine Überraschung: Eine Menge Menschen, und auch eine Menge Absperrungen an den Straßen rund um mein Quartier: ich konnte einfach nicht rausfahren!
Eine Nachfrage bei der Rezeption ergab eine weitere Überraschung: Heute und morgen wird hier der "Giro d'Italia" mit der letzten Etappe durchrasen! Radlerfans also an allen Ecken und Enden...
Und ich Moppedfan fühlte mich in die Ecke gedrängt. Aber ich will hier raus!
Ich erklärte einem Wächter, dass ich hier gerne mit dem Mopped weg und später wiederkommen wollte, also winkte er mich gönnerhaft hinaus, wo ich dann meine kleine Tour beginnen konnte.
Auf meiner Karte hatte ich eine interessante Route entdeckt, der ich folgen wollte; sie führte zuerst nach Dumenza und dann weiter nach Agra. Die verwinkelten Strecken auf der Karte hatten mich gelockt, und ich wurde nicht enttäuscht: Herrliche Landschaft umschloss diese recht kleinen, kurvenreichen Straßen, die immer weiter nach oben führten in die bergige Landschaft!



Das Wetter war zwar nicht unbedingt der Brüller: eher wolkig bis duster, aber immer noch hatte mich kein einziger Regentropfen gefunden! Sehr seltsam... Sollte ich mir etwa Sorgen machen, dass bei dieser Urlaubstour etwas nicht stimmen könnte?
Überall auf dieser Strecke begegnete mir wieder dieses südländische Flair, obwohl ich gar nicht im Süden war. Aber Italien beginnt wohl schon hinter seiner Grenze zum Ausland, und das Land grenzt sich ab durch die Eigenarten der Häuser, Dörfer und ländlichen Gegenden.
Aber dies ist eigentlich nicht erstaunlich; wenn man nur an Deutschland denkt, dann beginnen ja hinter den Bundesländergrenzen schon andere ethnische Kulturen und oft seltsame Sprachen, wie pfälzisch oder bayrisch...
Es war einfach faszinierend, durch diese Idyllen zu gondeln; echt: ich raste nicht, sondern bummelte! Ganz entspannt.
Ich folgte einem winzigen, verwinkelten Weg nach oben, immer meiner entdeckerdurstigen Nase nach: Dort oben sollte ein grandioser Aussichtspunkt sein, so hatte ich das im Gedächtnis; also folgte das Mopped meiner Gedächtnisgashand, die derzeit keine Mucken machte, sondern recht gemütlich das Mopped und mich in die Höhe schaukelte, jedenfalls zu Beginn; später sollte es weniger gemütglich zugehen: mehr als gemächlich sogar... 
Recht weit oben gab es tatsächlich eine kleine Kneipe, aber ansonsten war von diesem Aussichtspunkt aus fast nichts zu sehen als Nebel, der rund 300 Meter vor meiner Nase begann: nix Lago, nix Berge; nur eine Menge Bäume, die sich bald im Grau verloren...
Trotzdem hatte sich der Weg gelohnt, auch wenn er äußerst anstrengend war; er erinnerte mich an einen Weg auf Korsika: steil und manchmal so hauteng, dass ich die Spitzkehren kaum schaffte! Selten konnte ich in den zweiten Gang schalten, oft stand ich auf den Fußrasten,  weil ich das Mopped im Sitzen nicht um die Ecken und über Hürden gebracht hätte! Hier machte sich wieder das enorme Gewicht des Motorrads bemerkbar, - immerhin fast fünf Zentner ohne mich -, aber auch die erstaunliche Wendigkeit aufgrund des kurzen Radstandes.
Zum Glück hatte ich nicht gewusst, dass dies eigentlich ein Wanderweg war, sonst hätte ich diese Route nie gewählt und wäre nicht in den sinnlichen Genuss dieser traumhaften, meist waldigen Landschaft gekommen, die alle 40 Höhenmeter ihr Aussehen leicht veränderte. Auch die Gerüche, die ich durch das offene Visier gierig in mich hinein sog, änderten sich mit jeder Veränderung der Umgebung; nur eines blieb gleich: die unwahrscheinliche Intensität dieser Düfte, die durch die leichte Feuchtigkeit enorm verstärkt wurden.
Ab diesem Aussichtspunkt ging es nicht weiter und ich fragte mich, wie die wohl ihren Proviant für die kleine Gaststätte hier herauf schafften? Jemand anderen konnte ich nicht fragen, denn die Hütte war geschlossen.
Der Weg zurück bergab war nicht mehr ganz so schwierig, irgendwie hatte ich mich wohl eingependelt. Wieder unten entschloss ich mich, statt nach Curiglia weiter zu fahren, wieder in Richtung Hotel zu gondeln. Gründe hierfür waren der einsetzende leichte Regen, dem meine leichte Jacke und die Jeans nichts entgegen zu setzen hatten, und auch unser beider Hunger: mein Magen knurrte, und wenn ich genau hinhörte, der Tank des Moppeds ebenfalls...

Regen! Zwar nur wenig, aber immerhin: Jetzt konnte ich glauben, dass ich leibhaftig auf Motorradreise war und nicht träumte. 



In einem Örtchen machte ich noch eine kurze Pause, weil der Regen wieder aufgehört hatte, und ich auch noch fast eineinhalb Stunden Zeit hatte, um ab 16 Uhr auf Dietmar und Iris im Hotel zu warten; siehe Turmuhr.
In Luino hatte ich dann enorme Schwieigkeiten, bis zum Hotel zu fahren; die Politessen verweigerten mir die Weiterfahrt: ich sollte mein Mopped hier abstellen!
'Denkste!', dachte ich und tat so, als ob.
Sie schauten kurz weg, und schon war ich weg! Hihi...
Am Hotel war die Überraschung groß: Eine 900er Yamaha aus MA stand dort, und Dietmar und Iris saßen vor dem Hotel bei einem Capuccino! Für jeden einen, natürlich. Nach einer herzlichen Begrüßung bekam ich auch einen spendiert, und wir erzählten dabei von unseren bisherigen Erlebnissen. Auch versuchten wir, den restlichen Tag zu planen, überließen es aber dann dem Zufall, was sich so ergeben würde; falls wir uns entschließen würden, uns zu erheben.


   Ähnliches Bild, fast exakt an der gleichen Stelle, wie im letzten Jahr.

Wir entschieden uns für ein Bad in der Menge und verfolgten den Zieleinlauf der Radfahrer auf einer riesigen Videoleinwand auf dem Marktplatz von Luino. Der Menge der Zuschauer nach schienen alle aus dem Häuschen zu sein, und ihrer Aufregung nach ebenfalls!
Wir sind ja keine Fans vom Radsport, aber live bei einer Etappen-Zieleinfahrt des 'Giro' dabei zu sein, ist doch schon was Besonderes. Ab und zu, auf dem Weg zum Marktplatz, sahen wir sogar einige Fahrer in Echt vorbeiflitzen...
Nach einem Spaziergang durchs vollgefüllte Luino wollten wir unbedingt auch unsere Bäuche füllen: Gegen 19 Uhr gab es zwei Pizzas für die beiden, und ich genoss Gnocchi mit Gorgonzola und einer Petersiliensoße; ein Gedicht!
Damit sich das Essen besser setzt, haben wir danach auf einer Piazza beim Bahnhof herumgestanden: offenbar sollte dort etwas stattfinden, aber wir wussten nicht was! Und bis zu unserem Abgang nach einer halben Stunden hatten wir es immer noch nicht erfahren, denn das, was stattfinden sollte, hatte immer noch nicht begonnen... Gegen den Strom der Leute, die es zu der Piazza zog, kämpften wir uns zurück in das alte Jugendstil-Hotelchen. 
Um 22 Uhr wurde ich per Telefon(!) in das Zimmer von Iris und Diddi gebeten, wo ich eine Überraschung erlebte: Sie intonierten ein nachträgliches Geburtstagständchen, überreichten mir kleine Geschenke und einen Abendsnack der Sonderklasse aus dem Hotel-Buffet... Donnerwetter, war ich gerührt! Die beiden Schelme hatten es sich die ganze Zeit verkniffen und so getan, als hätten sie meinen Geburtstag glatt vergessen... Und darüber freuten sich jetzt die beiden Schlitzohren diebisch!
Liebe Freunde halt...
Wir sinnierten, dass es morgen wohl schwierig werden wird, hier herauszukommen; nicht aus dem Hotel, aber aus dem Ort, zusammen mit den Moppeds: Der Start des 'Giro' nach Mailand wird ausgerechnet vor unserer Haustür erfolgen! Zwar erst um 13 Uhr 30, aber es war ja schon schwieig genug, heute hier zum Hotel zu gelangen, obwohl die eigentliche Rennstrecke ziemlich entfernt vom Hotel lag. Wir wollten aber versuchen, spätestens um 10 Uhr abzuhauen und den Lago zu umrunden.

Sonntag, 4. Juni

Wahrscheinlich wären wir nach dem Frühstück um 8 Uhr noch gerade so heraus gekommen, aber das Wetter machte uns einen Strich durch die Rechnung: Es war recht kühl, und es nieselte!
Iris konnte sich eine Bemerkung nicht verkeifen: "Na klar, unser Hufi ist ja dabei..."
In das Gelächter konnte ich nicht so recht mit einfallen; aber die Situation schob meine Befürchtung von gestern beiseite, dass ich im falschen Film sein könnte! In mir keimte die Absicht, meinen Spitznamen zu ändern: von Donnerhuf zu Reise-Regenhuf...
Hier einige Bilder vom Giro d'Italia, startend vor unserem kleinen Hotelchen, mit dem Endziel Milano; lasche 148 Kilometer entfernt... Ha! Das hätte ich mit meiner Kawa locker in drei Stunden geschafft! Vielleicht auch in zwei Stunden, wenn ich einen Streckenplan gehabt hätte.
Diese Jungs hatten zwar eine abgesteckte Stecke, aber keinen Vierzylindermotor unter den Hintern...Respekt also!

Aufgrund dieser beiden lästigen Situationen, (Radlermanie und übles Wetter),  entschlossen wir uns also zu der Alternative, mal wieder per Tragflügelboot einen Ausflug nach Locarno zu machen. Letztes Jahr taten wir das ja auch, im kühlen Nieselregen... Warum wir allerdings nicht ans andere Ende des Sees fuhren, das wir noch nicht kannten, bleibt ein Rätsel. Um 10 Uhr 14 düsten wir ab.

In Locarno brauchte ich schnellstens was zum Futtern (wie letztes Jahr auch, wo die anderen über meinen (unan)ständigen Hunger gelächelt und gelästert hatten; aber das machten sie ja eh schon seit Jahren). 
In meiner Not habe ich mir von einem Asiaten an einem Straßenstand ein seltsames Ding andrehen lassen: Es sah aus wie eine Dampfnudel, die mit Kraut und etwas Undefinierbaren gefüllt war, roch aber recht lecker! Der Typ muss mir angesehen haben, dass ich kurz vor dem Umkippen stand und knöpfte mir für das tennisballgroße Ding umgerechnet 3 Euro ab! Ein Preis, der mir beinahe den Appetit verschlagen hätte; aber ich dachte: lieber arm, als verhungert auf offener Straße...
Und, was soll ich sagen: das Ding war mehr als ausgezeichnet! Für die Hälfte des Preises hätte ich noch zwei dazu genommen, da hätte er mehr eingenommen; aber die Gier nach schnellem Geld überschattet wohl die Wirtschaftlichkeitsrechnungskünste eines hageren Straßenstandasiaten...
Wir wollten das Kloster Madonna del Sasso besuchen und nahmen die Seilbahn. Zu Fuß wäre das nämlich recht schwierig gewesen, zumal ich auch keine Provianttasche dabei hatte.

Die Umgebung des Klosters entpuppte sich als echtes Paradies: Drei Seiten sind von Schluchten umgeben, in denen ein fast subtropisches Klima herrscht; selten habe ich ein üppigeres Pflanzenwachstum gesehen! Beispielsweise entdeckte ich drei Meter hohe und ebenso breite Hortensien, Bäume gigantischen Ausmaßes und natürlich Palmen.
Serpentinenartig wand sich eine Straße nach oben über all dieser Pracht!

    

Im Kloster selbst ging es ebenso pompös zu: Barocke Pracht erschlug uns fast, zumal die Decken mit etwa sechs Metern relativ niedrig waren und lebensgroße Statuen wie auch die nicht gerade klein geratenen Gemälde  in recht großer Anzahl präsentiert wurden.

    

Eines dieser prachtvollen Gemälde nahm mich wegen seiner unglaublich faszinierenden Malerei völlig gefangen: Jesus wird von einer kleinen Prozession getragen und leuchtet dabei überirdisch!
Leider hatte ich kein Blitzgerät dabei, und die Lichtsituation war ohne Stativ nicht zu bewältigen; deshalb weiche ich hier auf Bilder von Diddi mit seiner Knipse aus:

Danach gondelten wir wieder mit dieser herrlich nostalgisch anmutenden Bahn hinunter nach Locarno und durften noch einmal über und zwischen der prächtigen Natur unseren Sinnen eine relativ kurze Zeit des Genießens gönnen.

    

Unten in Locarno waren wir nach einem erneuten Bummel eine Kleinigkeit futtern und dabei wieder über die Preise entsetzt: Ein 0,33 l-Fläschlein Wasser umger. 1 Euro 30; zwölf Ravioli in Öl mit drei winzigen Salbeiblättchen und einer sehr entfernt nach Pilzen schmeckenden Füllung 7,50 - aber hallo, das waren 1995 satte 15 DM! Ich dachte: wenn du hier vor lauter Aufregung über die Preise an Hunger stirbst, kannst du mit Sicherheit deine Bestattung nicht bezahlen...
Dummerweise hatte ich meine Kreditkarte im Hotel vergessen, so dass Diddi mit seiner die in Schweizer Franken ausgestellte Rechnung zahlte; ich sollte ihm den Betrag dann später im Hotel in Lire zurückgeben. Plötzlich kam er in Stutzen: Der Kreditkartenbetrag würde doch aber in DM von seinem Konto abgebucht! Und eine Umrechnung in drei Währungen sei einfach nicht möglich!
Ich sagte dazu vorerst nichts und ließ den verzweifelten Freund rechnen und rechnen; eine Währungstabelle zwischen Franken und Lire gab es am Bootssteg. Irgendwann schien er die Lösung zu haben und präsentierte mir einen Betrag. Ich ließ ihn einfach schmoren, weil ich wusste, dass dieser Betrag falsch war... Manchmal kann ich ganz schön hämisch sein, vor allem dann, wenn es um unseren notorischen Besserwisser geht!Eigentlich wollten wir so gegen 16 Uhr 30 abfahren, aber es gab vor 17:15 kein Tragflügelboot; Diddi meinte, dass wir nur damit zurückfahren dürften, ich war der Ansicht, dass dieser Preis nur ein Zuschlag wäre und wir auch mit einem normalen Boot fahren dürften; den Zuschlag hätten wir demnach verschenkt. Genau also wie bei einem Schnellzug, wenn ich dann doch die Bummelbahn nehme.
Über diese Diskussion und der anschließenden Nachfrage an der Bootsstation verging so viel Zeit, dass wir nicht nur das Bummelboot verpassten, mit dem wir - natürlich - hätten fahren dürfen, sondern auch noch das komfortable Tragflügelboot...
Dietmar freut sich immer wie ein diebischer Schneekönig, wenn er recht hat (was er auch ständig beweisen will), deshalb war er völlig geknickt, dass es diesmal nicht geklappt hatte: so etwas zehrt an seinem Ego... Und später sollte noch ein herber Rückschlag auf ihn zukommen! So saßen wir noch über eine Stunde in der Gegend herum und warteten auf das nächste Boot.
Iris genehmigte sich ein schweineteures Eis, Diddi schmollte, und ich schlenderte herum und notierte mir dabei unaufällig die Umrechnungskurse...

 
In diesem Gebäude, das heute ein Hotel ist, wurde im Jahr 1925 der sog. Locarnopakt geschlossen: Das waren Verträge zwischen Deutschland, Belgien, Frankreich, Großbritannien, Italien, Polen und der damaligen Tschechoslowakei (heute Tschechien) mit dem Ziel des politischen Ausgleichs zwischen Deutschland und seinen Gegnern im Ersten Weltkrieg:
Garantie des territorialen status quo an der deutschen Westgrenze, deutscher Verzicht auf die gewaltsamen Änderungen der Ostgrenzen.


Iris schlabbert einsam und gelangweilt ihr Eis aus zwei Bollen für ~1,25 Euro! Etwa an der Stelle, wo im Jahr zuvor das Spätzlein Kekskrümel aus ihren Fingern genascht hatte.

Auf der Fahrt zum Hotel vereinbarten wir einen Treff am späten Abend, um noch etwas Bummeln zu gehen und vielleicht auch noch irgendwo einen einen preiswerten Abendsnack zu ergattern; ich jedenfalls.
Beim Treff vor dem Hotel präsentierte ich Dietmar meine Rechnung, wobei ich den Umrechnungskurs von Lire in DM auch noch einbezogen hatte, der an der Rezeption hing. Eine solche Rechnung ist für einen Bankkaufmann, der früher ausgerechnet auch noch in der Auslandsabteilung mit Währungsgeschäften zu tun hatte, ein Klacks! Diddi wusste das, hatte es aber in seinem Eifer völlig verdrängt. Meine Rechnung bewies, dass es natürlich geht, über mehrere verschiedene Währungen umzurechnen, und dass er sich dummerweise auch noch zu seinen Ungunsten vertan hatte. Schließlich wusste er nicht, dass es zwei verschieden Kurse gibt: pro Währung einen Ankaufs- und einen Verkaufskurs, die sich deutlich unterscheiden...
Das gab ihm den Rest: Zweimal an einem einzigen Tag nicht recht zu haben, war einfach zuviel für ihn! Wortlos machte er eine Kehrtwendung in Richtung Hotelzimmer, und die arme Iris schlich ihm mit einem bedauernden, aber auch bedeutsamen Blick hinterher...
Ich genoss nach einem kleinen Spaziergang durch das inzwischen weniger gefüllte Luino ausgiebig eine reich bedeckte Pizza, für die ich in Locarno sicher das Dreifache bezahlt hätte; auch über drei Währungen hinweg...
Um etwa 23 Uhr war ich in meinem ungemütlichen Bett angelangt, dessen Matratze in der Mitte eine Kuhle hatte, und in dieser Kuhle auch noch eine Menge Falten.

Montag, 5. Juni

Beim Frühstück um acht Uhr herrschte etwas kühle Stimmung zwischen Dietmar und mir: die Diskrepanzen des Vorabends lagen spürbar in der Luft!
Dennoch machten wir uns alle drei gegen halbzehn Uhr auf, den Lago komplett zu umrunden.
Es regnete (natürlich!), aber das störte uns nicht; schließlich war es unser letzter Tag hier  und wir wollten unseren Plan von gestern doch noch durchführen.
Wer die Umgebung dieser Tour näher betrachten möchte: bitte hier!
Es ging los in Richtung Süden, (für die nicht wenigen Menschen mit Schwierigkeiten dieser Angabe: auf der Landkarte unten!), und schon bald hörte der Regen auf;  jedenfalls bis hinter die untere Seespitze bei Arona, wo wir wieder nach oben gondelten (also nach Norden).
In der Schweiz wurde es wieder trocken, und das letzte Stück war wieder eine Regenfahrt: Über Abwechslung beim Wetter konnten wir uns also nicht beklagen, und auch unterwegs gab es eine Menge zu entdecken! Hier kleine Eindrücke:

Abends gingen wir in das gleiche zweigeschössige, kleine Restaurant, wo wir auch letztes Jahr unser Abschiedsessen mit riesigem Spaß veranstaltet hatten: Vier Teller mit verschiedenen Speisen, die wir kreisen ließen, damit jeder von diesen verschiedenen Köstlichkeiten etwas hat! Das war eine echte Gaudi und auch eine völlig neue Erfahrung, die wir da erfunden hatten:
Man schaut doch öfter mal im Freundeskreis auf die Teller der Nachbarn und fragt sich, wie lecker das wohl ist ist? So lange und so neugierig, bis der Nachbar fragt: 'Magste mal probieren?'
Wir machten also ein Spiel daraus: eine Art "Teller wechsle dich"! Nach einem Viertel des Genusses wurden die Teller jeweils zum nächsten Freund oder Freundin nach links verschoben; so hatte also jeder am Ende gleich vier verschiedene Erlebnisse auf der Zunge!
Bei dem heutigen Essen war ich doch etwas melancholisch geworden, weil es nur drei Teller waren, die zudem nicht mal um den Tisch kreisten...
Um 23 Uhr schrieb ich noch die Notizen dieses Tages auf meine Briefbögen des Hotels.

Dienstag, 6. Juni


Meine Rechnung per Kreditkarte; 286.000! Eine erschreckende Zahl...

Die Rechnungen in den Taschen, im ruhigen Bewusstsein, dass sie erst Tage später auf unseren Konten landen würden, machten wir uns uns kurz vor 10 Uhr auf den Weg zur Heimreise.
Das Wetter war - wie vorauszusehen, weil ja der Hufi mitfuhr - nicht in den höchsten Graden zu loben; eher nieselnd bis schneiend in den Minusgraden, denen wir unterwegs ausgesetzt waren, und die wir erst ganz vehement auf einer Aussichtsplattform auf dem Gotthardt zu spüren bekamen:
Auf der Fahrt schützte mich meine Ausrüstung dermaßen gut, dass ich wieder einmal keine Mark der teuren Bekleidung bedauerte; selbst die dünnen Haarschaf-Handschuhe, entnommen einer afrikanischen Schafrasse, die keine Wolle produziert (wäre ja auch echt doof in der dortigen Hitze), waren den Winterhandschuhen überlegen; zumal diese dicken Dinger auch noch das Gefühl der wichtigen Finger und Hände für das Handling des Moppeds  enorm beeinträchtigten. Und der Oberhit: Dieses dünne, ungefütterte Handschuhleder wurde nicht einmal nach völliger Regen- oder Schneefahrt eiskalt, und nach dem Trocknen war dieses Leder so geschmeidig wier vorher!  Keine Bange: Ich will kein Verkäufer dafür werden, zumal es diese genialen Handschuhe eh nicht mehr gibt...
Nur ein Hinweis noch: sie tun im Jahr 2013 immer noch ihre tollen Dienste! (Und im Jahr 2016, als ich mich von meinem Mopped trennen musste, hatte ich lediglich zwischendurch mal eine durchgescheuerte Daumenkuppe reparien müssen; 2018 benutze ich diese Handschuhe melancholisch bei kaltem Wetter auf meinem eBike!)
Diddi hatte sich nach unseren unterschiedlichen Erfahrungen vom letzten Jahr ebenfalls entschieden, sich solche Allwetterklamotten zuzulegen; allerdings wollte er nicht so viel Geld ausgeben, und bedauerte das jetzt: Irgendwo tröpfelte es in die Jacke, es zog der Wind und die Feuchtigkeit durch nicht optimale Nähte, und in seinen Stiefeln stand das Wasser...


Hoch, eisig, neblig


Vorne rechts mein Mopped; in der Mitte sein Fahrer beim Knipsen des vorigen Bildes


Da wollten wir hinunter, in wärmere Gefilde! (Zwei Bilder in meinem Album übereinander geklebt)

Bei der Fahrt hier herauf wurde mir recht warm, denn meine Gashand spielte mal wieder verrückt, und ich wollte ihr kein Einhalt gebieten: Es machte so ungeheuren Spaß, eine vor uns fahrende Rotte mit 'Joghurtbechern', (voll verkleidete, neumodische Motorräder), auf dieser Serpentinenstraße zu jagen! Die waren einfach nicht wendig genug, um die engen Spitzkehren in einigermaßen anständiger Moppedmanier zu durchkurven.
Ich dagegen kannte ja die Vorteile meines Mädels und schnappte mir erst Dietmar, der etwas erschrocken mit dem Lenker zuckte. Und da hielt es mich absolut nicht mehr: Wie im Rausch (was heißt, 'wie'; ich war im Rausch!) kassierte ich einen nach dem anderen der sechs oder sieben Fahrer; und jedesmal bemerkte ich das leise Zucken der Überraschung, dass ein Verrückter mit einem uralten Mopped schamlos demonstrierte, wie man steile Serpentinen räubert...
Ich war so gefangen in meiner Welt, dass ich erst oben auf dem Gotthard wieder zu mir fand und mich fragte, ob ich denn überhaupt bemerkt hatte, dass die enge Straße doch recht nass gewesen war? Die anderen kamen erst an, als ich meine Selbstgedrehte schon fast geraucht hatte...
Nachdem wir die Aussicht genossen und uns eiskalte Nasen im Wind geholte hatten, machten wir uns auf den Abweg. Auch hier drehte ich wieder völlig durch:
Ein ganzes Stück unter der dem Gipfel: Eine Ampel, die eine Teilstrecke sperrte, auf der offenbar der Belag einer Spur ausgebessert wurde. Und haargenau vor dieser Ampel ein LKW! Ja spinn ich denn? Will uns dieser fette Brocken den Spaß verderben?
Ich rollte an Diddi vorbei (der ja immer die Führung übernahm), und auch an dem LKW. Dummerweise stand dieser so knapp vor der Ampel, dass ich diese nicht mehr sehen konnte! Mit einigen Handzeichen bat ich den Fahrer, mir ein Zeichen zu geben, wann die Startlichter ausgehen und die Strecke freigeben würden; lachend hob er den Daumen und gab wenig Minuten später ein kurzes Lichtsignal. Ich hob kurz die Hand zum Dank und befand mich einige Sekunden danach wieder in meiner völlig anderen Welt...
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Ein kleiner Ausflug in diese Welt eines sehr ambinitionierten Motorradfahrers, dessen Namen unbekannt bleibt, aber seine Gefühle symptomatisch sind für viele Biker:

Wer so etwas noch nicht erlebt hat, wird es wohl kaum nachvollziehen können: Es gibt diesen irren Beschleunigungsrausch, den man zum Beispiel schon in der Zufahrtskurve auf eine Autobahn spürt; schon hier wird in Schräglage so am Kabel gezogen, dass du die Maschine gerade noch so unter deiner Gewalt hast. Nach einem kurzen Blick nach links erkennst du, dass die Bahn frei ist, und dann wird der Hahn gnadenlos aufgezogen, bis der Drehzahlmesser in den roten Bereich gerät! Dann: schalten, schalten und spüren, wie dich die schiere Gewalt der kleinen Rakete vom Lenker nach Hinten wegreißen will, aber du hängst dran wie festgeklebt und schaltest noch mal hoch, wieder den Gashahn bis zum Anschlag aufgezogen...
Nach nur wenigen Sekunden sollte dir bewusst werden, dass du schon bei 180 angelangt bist, obwohl nur 130 erlaubt sind... Und dieses Bewusstsein lässt sich nach einem solchen Schub, der einem das pure Glück durch die Adern rauschen lässt, nur schwer wieder kontrollieren! Die Endorphine spielen einfach verrückt... Aber Abbremsen auf die erlaubte Höchstgeschwindigkeit ist Pflicht. Mist.

Gleiches gilt für die Jagd im Gebirge oder in bergigen Gegenden des heimatlichen Umlandes, mit möglichst vielen Kurven:

Dieses irre Beschleunigungsgefühl gilt hier aber nur sehr kurze Zeit, es wird immer wieder brachial unterbrochen wegen heftigem Zugriff der Bremsfinger: Kurve naht!
Nach der Kurve wird wieder hochgepuscht; und das alles wiederholt sich also so oft wie nur möglich.
Dazu kommt aber noch der Rausch der Schräglage in den Kurven, die so optimal genommen werden müssen, dass die Ausfahrt der Kurve mit bestmöglichem Schwung und Schub in die Strecke dahinter führt; bis wieder mit heftigem Druck auf den Bremshebel das Tempo so dosiert werden muss, dass du erstens schadlos die nächste Kurve überstehst, zweitens aber nicht zuviel abbremst, damit du die Schräglage bis auf die letzte Rille auskosten kannst, um danach wieder den Gashahn aufzudrehen...

Dies alles kostet eine Menge physischer Kraft, mehr noch aber benötigen solche "Irrfahrten" ein ungeheueres Maß an Konzentration: Dein Hirn ist zwar auf einer bestimmten Ebene ausgeschaltet, weil diese irrationale Raserei sämtliche Glückshormone und auch einen erklecklichen Schub an Adrenalin freisetzt, wahrscheinlich besser und effektiver als jeder Drogenrausch. Andererseits sollte dein Hirn aber auch in einer kleine Ecke noch so intakt sein, dass es dich davor warnt, nicht völlig diesem Wahn zu verfallen!
Mein kleines, aufmerksames Eck im Hirnchen hat immer in meinem Motorradfahrerleben rechtzeitig genug erkannt, wann die Grenze erreicht war: Funktioniert das perfekte Zusammenspiel zwischen Geist, Körper und Maschine nur eine Zehntelsekunde nicht mehr, dann sollte dieses Hirneckchen sofort ein rotes Warndreieck einblenden und dich aus deinem Wahn zurückführen ins echte Leben: sanft, aber eindringlich und möglichst sofort! Sonst bist du tot, oder vielleicht schlimmer noch, fürchterlich behindert...

Aber das Motorradfahren ist natürlich auch ohne solche Hirnaushänger immer ein Risiko: 
Dummerweise wirst du von einem unachtsamen Autofahrer mitten in der Stadt erwischt, oder du rutschtst auf einem Kuhfladen im nächsten Dorf aus, oder oder...
Ich selbst musste viermal in meinem Motorradfahrerleben unfreiwillig absteigen (die vielen kleinen Ausrutscher mit den kleinen Maschinchen (Roller, Mokick) aus meiner Jugend nicht mitgerechnet!):
Zweimal nur heftige Schrammen und Blutergüsse; einmal ein aufgeplatzter Finger; einmal ein zertrümmertes Sprunggelenk. All das mit meinem ersten Motorrad, einer 250er Suzuki, im noch naiven Moppedfahreralter von 20 bis 24 Jahren. 

Ende des Ausflugs in die Seele eines Motorradfahrers!
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Nun wieder zur Rückfahrt, die ich ab dem San Gottardo unterbrochen hatte:
Unten, auf der ebenen Landstraße, habe ich viele Minuten auf Diddi gewartet, der ohne einen Blick auf mich zu verschwenden, an mir vorbei rauschte...
Nach einer Weile waren wir dann auf die Autobahn abgebogen und düsten auf dieser durch die Rest-Schweiz und Deutschland bis nach Karlsruhe, wo wir dann wieder auf Bundesstraßen auswichen: Autobahn ist für einen Biker in etwa so lästig wie ein Lineal beim Zeichnen von Wellenformen...
Zu Hause in Ludwigshafen, bevor sich unsere Wege trennten, gaben wir uns während der Fahrt einen kurzen Händedruck: meine rechte in Diddis linke, und natürlich ebenso bei Iris. Unsere ebenso kurzen Blicke dabei waren die reine Versöhnung mit einem Gefühl, wieder einmal ein tolles Abenteuer gemeinsam erlebt zu haben!
Um 18 Uhr 30, achteinhalb Stunden nach der Abfahrt aus Luino, stellte ich die Kawa vor meiner Haustür ab, von wo ich sie 1.367 Kilometer zuvor auf diese Tour gebracht hatte.
Zum Vergleich: Meine Hinfahrt dauerte zwölf Stunden bei 594 Kilometern!

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